Dithyrambiker des Untergangs. Gnostizismus in Ästhetik und Philosophie der Moderne. Von Michael Pauen. Berlin: Akademie Verlag, 1994. Pp. 449. DM 84.
Allein als Materialsammlung wäre dieses Buch wertvoll, und in der
Tat liest es sich über weite Text- und Fussnotenstrecken hin wie eine
Datensammlung zum vorliegenden Thema. Es geht dem Autor Michael Pauen um
nichts weniger, als das Nachleben der Gnosis systematisch zu dokumentieren,
d.h. die Beständigkeit einer Weltsicht und Denkweise aufzuzeigen,
die sich über knapp zweitausend Jahre erstreckt, zur Geschichte des
Christentums parallel läuft, ja mit ihm ursprungsverwandt ist, jedoch
von seinen prominenten frühen Vertretern als Ketzerei verurteilt wurde.
Das gilt auch von den grossen Kirchenlehrern, die gnostisches Gedankengut
übernahmen, auswählten und verwarfen, aber nie ganz loswurden.
Augustinus ist das bekannteste Beispiel.
Die einleitenden Seiten vermitteln einen ersten
Eindruck von der Anzahl neuzeitlicher Autoren und literarischer Figuren,
bei denen sich gnostische Vorstellungen und Denkmodelle nachweisen lassen.
Faust, sein Famulus Wagner, und eine Romanfigur Balzacs als deren Nachfolger.
Schopenhauer und Nietzsche. Bachhofen, Steiner, Lukacs und Bloch; Harnack,
Weber, Schuler, Klages; Kandinski, Buber, Hesse, George, Trakl, Kafka,
Jung. Und mehr. Einige davon werden nicht weiter behandelt, andere, wie
Adorno und Heidegger, überhaupt erst später erwähnt und
bekommen ausführliche Kapitel.
Die Absicht dieser grossangelegten Arbeit
ist nicht Wirkungsgeschichte im engeren Sinne, wobei schliesslich über
dem letzten Glied der Kausalkette triumphierend das Banner des lückenloses
Beweises gehisst werden könnte: so als wären Schopenhauer, Heidegger
und Adorno die direkten Erben der antiken Gnosis. Vielmehr liegt dem Wisenschaftler
Pauen daran, gemeinsame "Denkfiguren," eine gemeinsame "Grammatik des Denkens"
(11) aufzuzeigen. Das ist eine ebenso ehrliche wie weise Beschränkung,
die er nicht müde wird zu wiederholen, zuguterletzt im Schlusswort:
Damit ist keine lückenlose Kausalkette präsentiert, aus der
zweifelsfrei hervorginge, dass und warum Bloch sich im Geist der Utopie
auf den Gnostiker Basilides berufen musste oder Klages von seiner Lehre
als "Gnosis" spricht; es ist kein zwingendes Argument dafür genannt,
dass Heidegger gnostische Begriffe wie den "Ruf" oder die "Geworfenheit"
verwendet oder Adorno mit den Stücken Beketts indirekt auch seine
eigene Lehre als "gnostisch" bezeichnet. Verlangen kann solche Argumente
allerdings nur, wer Philosophiegeschichte als einen Mechanismus auffasst,
der eine simple Übersetzung ... betreibt. Die hier unternommene Rekonstruktion
... verbleibt also nicht innerhalb der üblichen monokausalen Erklärung
..." (410).
Mit anderen Worten, Pauen nimmt "Gnostik" für sein Vorhaben nicht
als datierbare Epoche innerhalb der westlichen Philosophie und Mythenbildung,
sondern als eine stets verfügbare Methode, sich mit der Welt auseinanderzusetzen
oder mit ihr anzulegen. Aus ähnlich unterschiedlichen Perspektiven
wurde z.B. in den fünfziger Jahren über das Begriffspaar Realismus/realistisch
diskutiert.
Allerdings will Pauen das Auftreten gnostischen
Gedankenguts nicht als zufällig ansehen, sondern abhängig von
"bestimmten historischen Bedingungen" (12). Was wiederum nicht bedeuten
soll, dass die pessimistische gnostische Weltsicht, wo immer sie vorgefunden
wird, vom schlechten wirtschaftlichen oder politischen Klima der jeweilen
Epoche abhängt. Im Gegenteil, schreibt Pauen, die antike Gnosis entstammt
dem Wohlstand der frühen römischen Kaiserzeit, und die jüngste
gnostische Welle der "Aufschwungseuphorie der Gründerzeit" (13, auch
42/3). Er setzt vielmehr bei der Gnostik eine pessimistische Grundhaltung
voraus, die er einen sekundären Pessimismus (warum nicht "primär"
oder "grundsätzlich"?) nennt. Dieser entzündet sich nicht an
jeweiligen Krisen oder Misständen, sondern hält die Welt überhaupt
für ein Gebilde aus "Finsternis und Ingnoranz." Dass diese bessere
Einsicht der Wenigen sich nicht durchzusetzen vermag, gilt als Beweis für
die allgemeine Verblendung. Das rechtfertigt wiederum die elitäre
"Ablehnung der Öffentlichkeit", die die unanfechtbare Gewissheit der
Einsichtigen nicht teilt, dass da weder mit Gesundbeterei noch mit Naturwissenschaft
und Fortschrittsgläubigkeit etwas zu machen ist. Allenfalls hilft
ein "apokalyptischer Umbruch " (15), eine tröstliche Aussicht. Da
die Wissenschaften Teil der erwähnten Verblendung sind, "nehmen Bloch,
Klages, Adorno und Heidegger für ihre Philosophie ein Wissen in Anspruch,
das sich wesentlich auf die Kunst beruft" (16).
Pauen beginnt seine intellectual history,
wie nicht anders zu erwarten, mit dem Versuch, die Gnostik zu definieren.
Das ist eine mühsame Arbeit, und man merkt es förmlich der Darstellung
an. Aber es lohnt sich, hier langsam und genau zu folgen. Was ist und was
will die Gnostik? Am besten versteht man sie als "eine Theorie des 'Ganz
Anderen'," die sich von allen Konventionen befreit und "dabei radikal kritisch"
ist (17). Damit ist noch nicht viel gewonnen, aber es herrscht tatsächlich
in den Arbeiten, auf die Pauen sich beruft, keine Übereinstimmung
("nicht einmal im Ansatz") "was denn nun eigentlich mit diesem Begriff
gemeint sein soll und wie das Phänomen zu bewerten ist" (21).
Also zurück zu den Quellen. Von den wenigen
antiken, die die Bücherverbrennungen und Umerziehungsprogramme der
frühen Christenheit überstanden (z.B. Irenäus von Lyon und
Tertullian) bis zu den Funden von Nag Hammadi als wichtigstem Zeugnis.
Auch über den Ursprung der Gnosis herrscht Unklarkeit. Es scheint,
dass sie sich "in einem jüdischen Umfeld vermutlich kurz nach der
Zeitenwende entwickelt" (26) und rasch über den vorderen Orient ausgebreitet
hat. Im römischen Bereich beginnt ihr Niedergang mit Konstantin, anderswo
floriert sie noch im sechsten Jahrhundert.
Das wichtigste Thema aus dem gnostischen Gedankengut
ist zweifellos die Korruption und Minderwertigkeit der materiellen Welt.
Die Gnostiker machen sich die Theodizee leicht. Dies ist keineswegs die
beste aller möglichen Welten, und das summum bonum ist nicht ihr Schoepfer,
sondern sie ist "das Machwerk eines Ignoranten, der mit dem Gott des Alten
Testamentes identifiziert wird" (29). Der wirkliche Gott ist eine unnennbare
und unsichtbare Kraft. Der Schöpfergott hingegen ist ein unfähiger
und halb verbrecherischer Trottel, ein glück- und talentloser Ingenieur,
dessen Machwerk weit hinter seiner eigenen Vision zurückbleibt. Verständlicherweise
ist die Menschheit, die ja aus demselben Labor stammt und deshalb keinen
Abstand besitzt, zu dumm, um den wahren Sachverhalt zu erkennen.
Hier hätte ein Vergleich mit Jakob Boehme,
der leider, wenn auch mit guten Gründen (65), in dieser Arbeit zu
kurz kommt, aufgezeigt, wie sehr die Theosophie des 16. und 17. Jahrhunderts
gnostischem Gedankengut verpflichtet ist. Auch bei Boehme ist die Bildung
der Materie nicht "gottgewollt" sondern die Folge von Luzifers Abfall und
Verbannung in die Finsternis, was einige Interpreten veranlasst hat, Luzifer
für den eigentlichen Weltschöpfer zu halten. Das meinte Boehme
allerdings nicht, nur dass die Aufsässigkeit der Geschöpfe Luzifer
und Adam verheerende Folgen hat.
Gegen die verstockte Dummheit der Welt, die
selber ihre Existenz einem vermeidbaren kosmischen Betriebsunfall verdankt,
setzt der Gnostiker eben diese Einsicht. Die Erkenntnis, die die Schlange
Adam und Eva verspricht, ist für ihn der erste Schritt aus der tumben
Befangenheit in die Autonomie der Wissenden, geradezu eine heilig/heilsame
Verpflichtung, und die Schlange das weiseste der Tiere. Eine docta ignorantia
und den Autoritätsanspruch einer Kirche lehnt die Gnostik ab.
Daraus folgt die "Selbstermächtigung
des Subjekts" und nicht ganz logisch die "Überzeugung, dass dem Menschen
aus eigener Einsicht ... die Wahrheit zugänglich sei" (36). Seiner
Überlegenheit gewiss, ignoriert der gnostische Weise die Einwände
der anderen, verachtet die Welt und die "verblendeten" Fürsprecher
des Bestehenden, ob es nun die biblischen Religionen sind oder die moderne
Technik (45).
Was jetzt folgt und Hauptteil und Anliegen
der Arbeit ausmacht, ist eine Dokumentation der Aneignung, Anpassung und
Verwertung dieses Gedankengutes, häufig typische Säkularisations-Erscheinungen,
von Augustinus und Plotin über die Renaissance (die sich ja nicht
nur an der klassischen Antike und neuen Astronomie orientiert) zu Schopenhauer
und Nietzsche, zu den französischen Symbolisten und in deren Gefolge
Stefan George, bis zu den Malern der Jahrhundertwende, die radikal mit
der Akademiekonvention brachen. Damit schliesst der erste Teil. Die dreihundert
Seiten des zweiten Teils sind den deutschen "Gnostikern" des 20. Jahrhunderts
gewidmet: Klages, Bloch, Heidegger und Adorno.
Die frühen Erscheinungen werden knapp
skizziert. Schopenhauer, dessen Pessimismus den Vergleich zur Gnosis förmlich
aufdrängt, ist der erste moderne Autor, den Pauen behandelt. Hier
wie dort wird ausdrücklich erklärt, dass es sich bei der unvollkommenen
Wirklichkeit nicht um korrigierbare Misstände handelt, sondern dass
die Welt aus dem Grunde schlecht ist. Das ist eine entscheidende Voraussetzung
für die Notwendigkeit der "Erlösung von der Welt" (73).
Diese Resignation und die daraus folgende "Ruhe des Gemüts" sind allerdings
auch der Stoa verpflichtet, ferner der asketischen vanitas- und mystischen
Gelassenheitslehre, und nicht zuletzt nach Schopenhauers eigenem Zeugnis
der Sansara/Nirwana-Lehre des Buddhismus.
Immer wieder wird in diesem Kapitel, das mit
Nietzsche endet, auf die Bedeutung der Musik bei der Suche nach der wahren
Erkenntnis hingewiesen. Die Musik als magisches Medium ist längst
ein beliebter Topos. John Dryden feiert die hl. Caecilie unter diesem Zeichen,
Mozart widmet den uralten Vorstellungen seine letzte Oper, Kleist eine
Novelle, und Rilke einige späte esoterische Gedichte. Wichtig ist
die Hinwendung zur Kunst überhaupt, die bei Baudelaire, Mallarmé
und in den Blättern für die Kunst des George-Kreises und,
mit etwas verschobenen Akzenten, in Marcs und Kandinskys Almanach Der Blaue
Reiter ihren vorläufigen Höhepunkt findet. Die Verwandtschaft
zur Gnosis sieht Pauen hier in der Emanzipation der Kunst von der Verpflichtung
zur Mimesis. Der neue Künstlertyp "ist nicht mehr Nachfolger des göttlichen
Schöpfers, der ... ein Abbild ... zu schaffen sucht, sondern ... dessen
Gegner, der seine eigene Schöpfung der Hinfälligkeit des Bestehenden
entgegenstellt" (128). Natürlich ist das nicht als ausschliessliche
Erklärung der grundsätzlichen Revolte dieser Generation gemeint.
Klages, dem das erste längere Kapitel
des zweiten Teils gewidmet ist, teilt laut Jaspers mit der Gnosis einen
Irrationalismus mit stark apokalyptischen Zügen und den absoluten
Pessimimus, der die Gegenwart, jede Gegenwart, als Inferno betrachtet (138).
Seine Kulturkritik wendet sich gegen alles, was er mit dem "Geist" als
"Widersacher der Seele" in Verbindung bringen kann, Christentum wie Judentum,
und die gesamte moderne Welt der Wissenschaft und des Kapitalismus. "Wille"
bedeutet bei Klages bewusstes Wollen, nicht wie bei Schopenhauer "blinde
Energie" (142). Auch hier liessen sich Bezüge herstellen zu Boehmes
Polemik gegen den zerstörerischen Eigen-Willen. Klages setzt diesem
Willen und seinen Folgeerscheinungen eine passive Verweigerung entgegen:
"Unser Protest gegen den Geist dieses Zeitalters heisst Enthaltung von
jeder Tat" (154). Politisch und wirtschaftlich gesehen ist das unverantwortlicher
heller Wahnsinn, doch findet man bei ihm ebenfalls ein modernes Umweltbewusstsein,
das Respekt vor dem "gesamten Leben" fordert und den Raubbau an der Natur
("machet euch die Erde untertan") scharf verurteilt. Sein Werk ist konservativ
und fortschrittsfeindlich, aber Pauen findet, dass es "gerade jene Erfahrungen
bündelt, die für die frühe Moderne charakteristisch sind"
(197).
Bloch hat Klages belächelt und einen
Tarzanphilosophen genannt, der der Welt einen auf Flaschen gezogenen Urwald
verschreibe. Bloch dagegen schreibe Kirchenfensterdeutsch, meint einer
der ersten Rezensenten des Geist der Utopie. Aber die hymnisch-schwülstige
Prosa ist gewollt, auch Gundolf schreibt so. Sie orientiert sich teils
am Expressionismus, teils gehört sie zum Programm der "Kritik am begrifflichen
Denken" (201). Bloch hat die Gnosis auf dem Umweg über die mystische
und theosophische Tradition kennengelernt und "lehnt sich ebenso wie die
Gnostiker auf gegen die schlechte Wirklichkeit und ihren Schöpfer"
(218). Bei ihm ist es hauptsächlich der Widerwille gegen alles Materielle,
der die Musik zur höchsten der Künste macht. Die Binsenwahrheit,
dass es ohne Materie auch nicht einen einzigen Ton gäbe, fällt
nicht ins Gewicht.
Es ist da überhaupt ein Unernst am Werk, die hehre Belanglosigkeit
einer Predigt aus Bildern und Metaphern, die dennoch als Kulturkritik mit
Therapiehinweisen ernstgenommen werden will. Aber es bleibt Manna fürs
Gemüt, den Verstand geht das nichts an. Überraschend ist hingegen
Blochs frühe Einsicht, später im Ideologie-Nebel der Jahrhundertmitte
vorübergehend aus den Augen verloren, dass der vollendete Kommunismus
nicht mit seiner "Utopie" zusammenällt. Vielmehr schafft der erst
"die materiellen Voraussetzungen, die es erlauben, den Prozess weiter voranzutreiben"
(241). Und wohin? Zu "den grossen, übermenschlichen, überirdisch
eingesetzten Gnadenmitteln der Kirche, einer notwendig und a priori nach
dem Sozialismus gesetzten, neuem Offenbarungsgehalt zugewandten Kirche"
(Geist der Utopie, 1923). Der nüchternen Torheit der Welt begegnet
die trunkene Einfalt in der weltfernen Sprache der Jugendbewegung, die
sich zwischen den Weltkriegen bei der jungen Generation an den Universitäten
noch am längsten hält. Am Ende steht jedoch auch bei Bloch der
"gigantische Weltbrand, dem das gesamte auf Unwissenheit beruhende Werk
des Schöpfergottes zum Opfer fällt" (254). Das wünschte
sich schon Goethes Mephisto, "denn alles, was entsteht, ist wert, dass
es zu Grunde geht."
Heideggers Verbindung zur Gnosis ist seinem
Marburger Kollegen Bultmann und seinem Schüler Hans Jonas verpflichtet.
Pauen konzentriert sich zunächst auf Sein und Zeit, dann aber auf
die späten und für ihn weit wichtigeren Beiträge zur Philosophie.
Bei der Beschreibung der frühen Einflüsse gelingt ihm eine seiner
vorbildlichen Kurzfassungen.
"Heidegger hatte Plotin bereits in Brentanos Dissertation kennengelernt,
seine direkte Quelle für die Interpretation des Ursprunges als des
'Anderen' mögen indessen Meister Eckehart oder Rudolf Otto gewesen
sein. Die Lehre von der ontologischen Hierarchie findet sich bei
Duns Scotus, dessen kosmische Rangordnung Heidegger in der Habilitationsschrift
referiert: ..." (290).
Später kommen die Dichter hinzu, Hölderlin, Rilke und Trakl,
Dostojewskij; auch Nietzsche, Kierkegaard, Hegel und Schelling. "Zweifellos
folgt Heidegger nicht allein gnostischen Einflüssen" (326).
Am Ende zeigt sich Heideggers "Gnosis" an der "Abstraktheit seiner Opposition
... - das Bestehende ist so schlecht, dass jeder Versuch, es zu ändern,
vergeblich bleiben muss" (336). Die wenigen Einsichtigen, "Fremdlinge"
heissen sie hier, ziehen sich "ans wärmende 'Herdfeuer des Seyns'
zurück, um sich in der 'Erschweigung' des 'Anderen' zu üben -
der Radikalismus schlägt um in Resignation" (336). Da stimmt garnichts
mehr, nur noch die Grammatik. Aus Goethes melancholischer Stimmung
- selig, wer sich vor der Welt ohne Hass verschliesst - wird die achselzuckende
Pose, die radikale innere Emigration der Verweigerer.
Zum Schluss zu Adorno, über Benjamin,
der allerdings nicht hierhergehört. Bei Adorno sieht Pauen, im Gegensatz
zur verbreiteten Meinung, eine Entwicklung, spezifisch eine "kontinuierliche
Annäherung an gnostische Vorstellungen" (339). Adorno erkennt das
Dilemma von Spenglers düsterem Determinismus und der asozialen Resignation
Heideggers: "... solche Resignation steht auch ihrerseits in Gefahr, dem
Seienden Recht zu geben und die Welt den Mächten zu überlassen"
(375). Er zählt das so häufig verschrieene 19. Jahrhundert zu
den einigermassen glücklichen Perioden der Menscheit (372), findet
die Produktion in einer Agrargesellschaft "näher an den Arbeitenden
und Verzehrenden" (389) und würde den Baron von Risach nicht tadeln,
der seine öffentliche Laufbahn aufgibt und abseits vom "Lärm
der Welt" nach dem Prinzip der gegenseitigen Abhängigkeit und Dienstleistung
einen Musterbetrieb aufbaut, wie er sich revolutionär-konservativer
nicht denken lässt. Solche Diesseitsfrömmigkeit ist allerdings
eine vergeblich-wehmütige Nostalgie, schon bei Stifter. Der späte
Adorno teilt mit den Gnostikern den nicht weiter nützlichen Glauben,
"dass auf die erbärmliche Lage der Gegenwart weniger durch praktisches
Handeln als vielmehr durch Erkenntnis - 'Gnosis' - zu reagieren sei, da
jede Handlung in dem Verblendungszusammenhang befangen bleibe, den sie
zu überwinden beansprucht" (339). Somit gilt auch für ihn wie
für alle hier vorgestellten Autoren, dass die "Auseinandersetzung
mit dem Bestehenden" doch im Mittelpunkt steht, nämlich als "ein Akt
der Befreiung von überkommenen Traditionen und Zuständen, der
sich noch keine Klarheit darüber verschafft hat, was denn nach der
gegenwärtigen Finsternis kommen soll" (405).
Wagner fehlt, des Untergangs grösster
Dithyrambiker. Auf den Essay darf man gespannt sein.
Herbert Deinert
Cornell University