This review first appeared in

THE JOURNAL OF ENGLISH AND GERMANIC PHILOLOGY
Vol. LXV, No. 2, April, 1966

DIE EINHEIT DES Ackermann aus Böhmen.  STUDIEN ZUR KOMPOSITION.  Von Gerhard Hahn. (Münchener Texte und Untersuchungen zur Deutschen Literatur des Mittelalters, V.)  München: Verlag C. H. Beck, 1963, Pp. viii+124.  DM 16.50.-

In der Einleitung zu seiner sehr sorgfältigen und exakten Analyse des Ackermann beschreibt Hahn das Ziel seiner Untersuchung und setzt sich mit der bisherigen Forschung auseinander, soweit sie sein Thema behandelt.  Es geht ihm darum, noch einmal die Einheit der Dichtung nachzuweisen.  Allerdings fasst er den Begriff "Einheit" sehr weit, nicht nur als Einheit der Komposition, sondern einschliesslich des Zusammenhangs "von Autor und Werk im Sinne eines Bekenntnisses, einer auch in ihrem Inhalt und Gehalt verantworteten Aussage" (S. 5). D.h. er stellt die Frage, ob es sich um ein "stilistisches Paradestück" im Sinne Hübners handelt, oder ob das Werk aus biographischem Anlass entstanden ist und die Weltanschauung des Autors wiedergibt.  Nur wenn das Werk (KIage des Ackermanns um die Frau) ein Erlebnis des Autors (Tod der Gattin) spiegelt, besteht nach Hahn Einheit im weitesten Sinn.  Auf dieses Verhältnis zwischen Autor und Werk den Begriff "Einheit" anzuwenden, mag noch angehen; aber indem er auf solche Weise zwischen Literatur (Stilübung) und Dichtung (Erlebnisdichtung) unterscheidet -- er trennt Dichtung und "frei gestellte rhetorische Aufgabe" (S. 6), "Stoff" und "Psyche" (S. 10) -- setzt er sich ganz unnötigen Schwierigkeiten aus.  Zwar gibt Hahn zu, dass die Einheit des Werkes unangetastet bleibe, selbst wenn man "speziellen biographischen Fakten ... einen relevanten Einfluss auf die Gestaltung des Werkes" abspreche; man negiere damit aber "Bedingungen, die wir gemeinhin neben der Gestaltung der Sprache und in innigem Zusammenhang mit ihr für das Zustandekommen von Dichtung für unerlässlich halten" (S. 6).

Nun wird niemand bestreiten wollen, dass eine Unzahl von Dichtungen ohne einen besonderen biographischen AnIass nicht zustande gekommen wäre, aber nur wenige werden ihn für "gemeinhin unerlässlich" halten.  Man hat bei Hahns Ausführungen immer das Gefühl, als sei mit seiner Unterscheidung ein Werturteil verbunden, so sehr bemüht er sich, dem Saazer eine "verantwortete Aussage" nachzuweisen.  Selbst als pure Stilübung, die mit der Haltung des Autors nichts gemein hat -- so urteilte Hübner -- behielte der Ackermann seinen literarischen Rang.  Auch koennten wir nach wie vor nicht umhin, den klagenden Ackermann innerhalb des Streitgesprächs wörtlich zu nehmen, gleichviel ob sich hinter ihm der Autor verbirgt oder nicht.  Ob die alten Formen und Metaphern aus lauter Freude am Gestalten gebraucht wurden, oder ob der Dichter sie "mit Persönlichem füllte," wie man so schön sagt -- wer wollte das angesichts des vorliegenden Materials entscheinden?  Auf ein Werturteil, das über den literarischen Rang eines Werkes entscheidet, hat die Frage, ob es sich um ein persönliches Bekenntnis oder um eine Stilübung handelt, keinen Einfluss.  Der Gegensatz zwischen "Machen" und "Fühlen" ist in der Literatur ohnehin schwer bestimmbar; für den Humanisten Johann von Saaz bestand er wahrscheinlich nicht.

Wichtiger ist für Hahn der Einwand Hübners, dass auch die Kornposition des Werkes gegen den Schluss brüchig wird, dass "die Dichtung in Gründen und Gegengründen etwas ziemlich Zerpflücktes bekommt" (S. 6).  (Leider bleibt Hübners sympathische Mittelstellung zwischen den Ergbenissen der geistesgeschichtlichen Untersuchungen von Burdach und Ella Schafferus unerwähnt.)  Mit dem Argument Hübners, dass dem Dichter der Stoff zusehends dünner werde und ganze Kapitel schliesslich mosaikartig wirkten (S. 6), setzt Hahn sich auseinander.  "Gegenstand der Studien ist noch einmal der Aufbau, die Komposition des Ackermann" (S. 13).  Davon erhofft er sich gleichzeitig die Lösung der "Einheitsfrage weitesten Umfangs," der "Frage nach der Existenzweise des Dialogs zwischen Bekenntnis und Stilexperiment," denn die "kompositorische Linienführung" sei als Stimme des Autors zu interpretieren, da sich hier die "biographische Lebens- und Bildungserfahrung mit dem Apparat vorrätiger literarischer Motive" treffe (S. 13).

 Die nun folgende, 75 Seiten starke Textanalyse ist weitaus sachlicher und exakter als das ein wenig pretentiöse Eingangskapitel zu versprechen schien.  Es ist ein eingehender, fortlaufender Kommentar zum Ackermann, wie ihn ähnlich zuletzt Franz H. Bäuml geliefert hat.  Es ist ein wohl unvermeidliches Nebenprodukt dieser sicherlich wertvollen, aber mikroskopischen Methode, dass die Untersuchungen hin und wieder ins Pedantische ausarten und den Leser ermüden.  So interessant alle Einzelbeobachtungen für sich genommen sind, selbst aneinandergereiht bleiben sie Einzelbeobachtungen und ergeben auf weite Strecken hin einen zähflüssigen, schwer lesbaren Text.  Hahn gruppiert die Kapitel inhaltlich (I-V, VI-XII, XIII-XVIII, XIX-XXIII, XXIV-XXXII, XXXIII-XXXIV) und versucht, die thematische und strukturelle Einheit der Dichtung in Rede und Gegenrede nachzuweisen.  Immer bleibt im Hintergrund die Frage "Stilexperiment--verantwortete Aussage" (S. 23, Anm. 2) bestehen, eine verzeihliche Neugier, die aber nirgends befriedigt wird, mit dieser Methode allein auch garnicht befriedigt werden kann.  Die exakte Textanalyse will ja gerade vermeiden, was Hahn immer wieder unternimmt: er bemüht sich um Schlussfolgerungen, die sich aus dem Text selbst nicht ergeben.

Bei seiner Untersuchung der Strukturelemente unterstreicht Hahn die wichtige Tatsache, dass der Partner jeweils nicht nur auf den Inhalt der Gegenrede reagiert, sondern auch auf den Ton (S. 30).  Natürlich weiss auch er, dass Tod und Ackermann ebenso häufig aneinander vorbeireden.  Aber weit davon entfernt, dies als Kompositionsschwäche zu werten, wie etwa Hübner, spricht er von "planvollem Leerlauf" (S. 39).  Die Tatsache, dass der Ackermann z.B. in den Kapiteln VII, IX, und XI nicht auf die Argumente des Todes eingeht, sondern vom "dolor-Affekt" beherrscht auf seiner Klage beharrt, sei nicht etwa "'gut mittelalterliche Unzulänglichkeit im Sinne Tschirchs" (sic! Hübners? vgl. S. 6), sondern ein "sehr bewusster Gestaltungswille" (S. 37).  Er beruft sich auf den unter den möglichen Quellen (S. 31-32) angeführten Seneca-Dialog, in den eine psychologische Erfahrung eingegangen sei, "die nämlich, dass der Affektbefallene der Stimme der ratio nicht, oder wenigstens zunächst nicht und nur allmählich zugänglich ist" (S. 35).  Das ist eine sehr plausible Erklärung, zumal die stereotype Klage dem Ackermann schliesslich den Vorwurf der Dummheit einbringt.  Die Ordnung der Welt, auf die sich der Tod beruft, ist so eindeutig, "dass Nichtanerkennung nur auf Unvernunft oder affekthafte Verwirrung im Leid zurückzuführen ist" (S. 61).  Nur auf das XXXII. Kapitel, die letzte, zusammenfassende und versöhnliche ("sun!") Rede des Todes unmittelbar vor dern Schiedsspruch, will auch die These vom "planvollen Leerlauf" nicht passen.  Es ist Hahn entgangen, dass das pessimistische Bild vom Zustand der Welt, das der Tod hier -- allerdings ohne die gewohnte bissige Ironie -- entwirft, mit dem des Ackermanns übereinstimmt.  Der Tod behauptet etwas, das der Ackermann nie geleugnet hat.  Gerade das Bewusstsein, dass die Welt verderbt ist und dass er deshalb der Hilfe bedarf, zwingt den Ackermann, den Verlust der Gefährtin zu beklagen.

Zu den wertvollsten Aspekten der Arbeit gehört die starke Betonung der Rolle, die die Frau im Weltbild des Ackermanns spielt.   Vornehmlich in der Bindung an die Frau liegt eine Garantie für ein glückliches, sinnvolles Leben.  Das ist für eine Dichtung mit so offenkundig religiösem Rahmen eine auffallende Diesseitigkeit.  In starkem Kontrast zur gleichzeitigen Literatur de contemptu mundi bietet hier das Leben selbst alle Möglichkeiten von Glück, Zufriedenheit, Geborgenheit, Sinn.  Der Frau fällt in diesem Zusammenhang eine wichtige Aufgabe zu.  Nicht nur übernimmt sie, analog zum mittelalterlichen Minnedienst, die Erziehung des Mannes und übt damit eine gesellschaftliche Funktion aus, sie wird beinah zur mediatrix dei.  "Er [Gott] was auch mir günstig und genedig durch iren willen; ... Das het sie an Got erworben und verdienet, die reine hausere" (XI).  Das ist die traditionelle Mittlerrolle Mariens, hier auf die eigene Frau übertragen.  Nicht nur, weil er ein Recht auf sie zu haben glaubt, klagt der Ackermann, sondern weil er sie braucht.  Die Ehe gewährt "ein erfülltes und beglücktes irdisches Leben" (S. 99).  Allerdings ist das alles schon einmal gesagt worden [see my own essay on the Ackermann, first published in JEGP (1962) 205-16) and reproduced elsewhere on this web site].  Und doch gipfelt der irdische Anspruch wieder im Religiösen.  Das Streitgespräch endet im Gebet, und dort wird Christus, der eigentliche mediator dei, angerufen: auch das gehört mit zum Ergebnis der Auseinandersetzung.

Verhältnismässig wenig Raum widmet der Autor den beiden Glanzkapiteln XXIV und XXV, von der Forschung gewöhnlich als die wichtigsten angesehen, weil hier Ackermann und Tod scheinbar diametral entgegengesetzte Ansichten vom Menschen vertreten.  Hier setzt sich Hahn ganz unnötig, weil nur vermeintlich, zur Forschung in Gegensatz, die seit Ella Schafferus' schöner Arbeit auf die verschiedenen Gesichtspunkte hinweist, unter denen Tod und Ackermann den Menschen sehen.  Der Tod spricht vom Menschen als Materie, der Ackermann vom Menschen als herrlich funktionierendem Organismus.  Beide Ansichten haben ihre Vorbilder; die des Todes, stützt sich auf die verbreitete Literatur de contemptu mundi, die des Ackermanns spiegelt das gängige Bild vom Menschen als der "Krone der Schöpfung."  Beide Ansichten sind einseitig, sogar tendentiös, wie Hahn schreibt, aber sie schliessen einander nicht aus.  Dass die gegenteiligen Feststellungen vom Partner jeweils schärfsten Tadel herausfordern, ist Hahn an anderer SteIle (S. 73, 78) durchaus willens zuzugeben; warum nicht hier?  Es ist ein Lärm um nichts.  Denn wenn Hahn am Schluss der Betrachtung dieser beiden Kapitel schreibt, dass zu dem einen Aspekt (der Beschreibung des Menschen durch den Tod) ein anderer gleichen Anspruchs gesetzt werde, so sagt er in Wirklichkeit genau das, was Bäuml und andere vor ihm auch sagen.

Zurn Schluss kehrt Hahn noch einmal zur Frage des Anfangs zurück: handelt es sich lediglich um eine Stilübung, oder um Dichtung aus biographischem Anlass?  Er gibt den Anachronismus der Fragestellung zu, die an einer relativ späten Ansicht vom Zustandekommen des dichterischen Kunstwerks orientiert ist, nämlich der Idee (allerdings hauptsächlich in Bezug auf Lyrik gebraucht), dass Dichtung die spontane Umsetzung eines Erlebnisses in die unverwechselbare, gegebene Form ist (S. 112).  Hahn weist auf einige Daten hin, die in den Dialog eingefügt sind und für einen biographischen Hintergrund sprechen, z.B. Initiale der Toten, Beruf des KIägers, Wohnort, Todesjahr usw.; das Schlussgebet bringt im Akrostichon gar den vollen Namen der Toten und erscheint somit trotz der Vorlage (Johann von Neumarkt) als "wirkliches" Gebet.  (Man vergleiche dazu die diesbezüglichen Seiten aus der ausgezeichneten Einleitung Krogmanns zu seiner Ausgabe.)  Doch muss Hahn zugeben, dass sich der "reale biographische Anlass weder beweisen noch ausschliessen lässt (S. 114).  War zuvor das Zurückgreifen auf literarische Vorformen als möglicherweise unernst abgewertet, wird dem Saazer jetzt dasselbe zum möglichen Verdienst angerechnet.  "So kann--muss es nicht!--der Aufwand in der Durchgestaltung des Formalen, der uns unverbindlich-spielerisch, bei gewichtigem Thema verdächtig, jedenfalls einheitssprengend vorkommen mag, gerade und im Gegenteil dafür zeugen, wie ernst das Behandelte genommen ist" (S. 114).  Solche Formulierungen sind immer unanfechtbar, weil sie entweder garnichts behaupten oder etwas, das niemand bestreitet.  Aber damit ist die anfangs gestellte Frage keineswegs beantwortet.  Und deshalb kann man aus dieser Feststellung unmöglich mit Hahn folgern, seine Untersuchung gestatte uns "das Bewusstsein ... dichterische Aussage als Deutung der Welt vor uns zu haben, nicht allein ein noch grossartiges stilistisches Unikum, wenn wir zum Ackermann greifen--davon war soeben die Rede" (S. 115).  Davon war nicht die Rede.  Festgestellt wurde lediglich die Möglichkeit (bestenfalls Wahrscheinlichkeit) eines biographischen Anlasses; und das wenigstens zuzugeben sollte nach Krogmanns Materialsammlung niemandem schwerfallen.  Hübners These, dass es sich beim Ackermann um ein stilistisches Paradestück handelt, bleibt im Grunde unangefochten.

Der Wert dieser so gründlichen Arbeit liegt eben nicht dort, wo der Autor zu seinen Vorgängern Stellung nimmt (die Meinungsverschiedenheiten sind mitunter kaum wahrnehmbar), auch nicht wo er sich anschickt, die biographische Wirklichkeit des Dichters hinter seinem Werk zu erhellen, sondern in der sorgfäItigen Lesung und Analyse seines Textes.  Burdach, Schafferus und Hübner haben bereits die extremen Positionen in der Methode wie in den Resultaten vertreten; radikal neue Ergebnisse lassen sich kaum noch erzielen.  Dass man aber immer noch zu interessanten Einzelbeobachtungen kommen kann, beweist diese Arbeit; und es schadet ihr nicht, dass sie auch Dinge wiederholt, die andernorts bereits gesagt wurden.  Die Zusammenfassung verstreuter Forschungsergebnisse ist ebenfalls ein wertvoller Beitrag; auch den liefert diese Arbeit durchaus.

Leider wirkt die Diskussion oft weitschweifig, vor allem wenn es sich darum handelt, selbstgestellte Einwände zu widerlegen.  Die Wortwahl ist häufig gekünstelt, vieles liesse sich einfacher sagen.  Die Suche nach gewichtigem Vokabular führt gelegentlich zu Modeworten wie "Realfakten" oder "Faktizität", oder zu Stilblüten wie "Hingespanntsein auf sie [die Frau]" (S. 101).  Noch eins: es wäre wünschenswert gewesen, der Autor hätte statt der kaum aufzufindenden Heidelberger Ausgabe des Ackermann von Hammerich und Jungbluth (1951) deren Kopenhagener Ausgabe benutzt (ebenfalls 1951), oder die verbreitete von Willy Krogmann (Wiesbaden, 1954).

         Auf Seite 37 stehen die Zahlen, die auf die Anmerkungen hinweisen, in umgekehrter Reihenfolge.  Seite 48, Anm. i, lies einmaI (statt einnmal); Seite 103 sinnvoll (statt sinnvol).  Eine wertvolle Literaturübersicht (seit 1950) und ein Register beschliessen die Arbeit.

 HERBERT DEINERT
Cornell University