This essay was first published in

PMLA. Publications of the Modern Language Association of America
Volume LXXIX
September 1964
Number 4, Part 1
 

Die Entfaltung des Bösen in Böhmes Mysterium Magnum

von Herbert Deinert
 

Und wollen andeuten ... wie Böses und Gutes aus
einern einigen Grunde urstände, als Licht und
Finsternis, Leben und Tod, Freude und Leyd; und
wie das in seinem Grunde sey.
(Mysterium Magnum, Vorrede, 11).

 Böhmes Philosophieren trägt den Character einer leidenschaftlichen Theodizee.  Gott ist das unbedingte und uneingeschränkte Gute; von dieser Prämisse will der Christ Böhme nicht abweichen.  Aber er ist ebenso weit davon entfernt, das Böse in einer Welt zu übersehen, die das summum bonum geschaffen hat.  Für den mit der christlichen Tradition Vertrauten ergibt sich damit die Notwendigkeit, die souveräne Willkür Jehovas, die Existenz von Tod, Teufel und Hölle, die Lehre von der Verstocktheit der Bösen und ihrer ewigen Verdammnis vor sich selber zu rechtfertigen und mit dem oben angeführten Gottesbegriff in Einklang zu bringen.  Böhme wehrt sich energisch gegen die Idee der Prädestination, die das theologische Dilemma rational auflöst, indem sie das Bild eines gleichzeitig guten und grausamen Gottes entwirft, der sein Recht zur Willkür in der Verteilung von Gnade und Ungnade aus der Erhabenheit des Schöpfers bezieht, der nur sich selber Rechenschaft schuldet.  Zwar wird das doppelte Gesicht Gottes zum Kernstück seiner Emanationsphilosophie, die absichtliche Vorherbestimmung zum Bösen seitens Jehovas hingegen ist derjenige Aspekt der Prädestinationslehre, den Böhme nicht hinnehmen kann.  Man spürt förmlich seine Erregung in dem kategorischen und grammatisch inkorrekten Satz: "Aber die Vernunft-Schlüsse, welche lauten, dass GOtt in sich selber, so viel Er GOtt heisset, habe beschlossen, dass ein Theil der Menschen Ö solle und müsse verdammt werden, und dass Er sie aus eigenem fürgesetzten Willen verstocke; ist [sic] falsch"[1].  Diese beiden Momente, die Gutheit Gottes und die Ablehnung der damit unvereinbaren Idee der Prädestination, sind für Böhme Voraussetzungen a priori, denen alle weitere Gedankenarbeit sich unterzuordnen hat.  Die logische Vernunft, der solch ein Vorgehen nicht zuzumuten wäre, ist deshalb für ihn das schlechteste und unverhohlen missachtete Instrument menschlicher Gotteserkenntnis.  An die Stelle des diskursiven Denkens tritt die theosophische Spekulation als einzige Alternative.  Für Böhme ist alles Seiende in seiner Vielfalt die Ausdrucksform eines Einzigen: Gottes und seiner Eigenschaften.  Es ist Böhmes Grundgedanke, die Welt als Offenbarung Gottes zu begreifen; er möchte ihn gleichsam aus der Schöpfung ablesen oder, wenn man so sagen darf, aus ihr das Urbild Gottes rekonstruieren.  Auch das Böse stammt aus Gott und offenbart deshalb eine seiner Eigenschaften [2].

 Diese Arbeit soll zeigen, wie Böhme das Böse als Teil des Offenbarungsprozesses Gottes ansieht, ja als Manifestation Gottes, ohne mit der allezeit festgehaltenen Idee der absoluten Gutheit Jehovas in Konflikt zu geraten.  Zwar liessen sich dazu eine Reihe von Schriften Böhmes heranziehen, doch schien das Mysterium Magnum (1623) am geeignetsten, weil es sein letztes grösseres Werk ist und einen eigenwilligen Kommentar zur biblischen Schöpfungsgeschichte darstellt, mithin einen Text behandelt, der ebenfalls einen Werdegang beschreibt.  Böhmes Methode ist der allegorischen Interpretation des alten Testaments verpflichtet, die spätestens seit Ambrosius (etwa 340-397) auch im Abendland heimisch geworden war [3].  Allerdings dient ihm die Genesis häufig nur als Hintergrund für die eigene Spekulation; zudem gehen die Gedanken über das Wesen Gottes -- der für unser Vorhaben wichtigste Teil -- der Erklärung des eigentlichen Genesistextes voraus, der ja erst mit der Schöpfung beginnt.  Obwohl es die Aufgabe dieser Arbeit ist, aus dem Komplex der Böhmeschen Gedanken "das Böse" herauszuschälen, sei gleich hier erwähnt, dass das Böse keine Welt für sich ausmacht, sondern Teil einer untrennbaren Ganzheit ist, in der es als der notwendige Gegenpol erscheint, eins ohne das andere nicht sein könnte.  Da es wichtig ist, das Böse nicht nur in seinen Erscheinungsformen zu erfassen, sondern vom Ursprung her aufzuzeigen, beginnt die Arbeit mit Gott selbst, der Urpotenz, in der alle weitere Entwicklung schon vorhanden ist.

I. Gott

 Böhme begreift Gott zunächst in negativer Definition als das, was er nicht ist.  Gott ist das Nichtkreatürliche.  "Er hat weder Grund, Anfang noch Stätte; und besitzt nichts, als nur sich selber" (i.2)  Ausser ihm ist nichts, darin er sich offenbaren könnte.  Nach Böhmes Definition, über die noch zu sprechen sein wird, erscheint Gott vorläufig selber als ein Nichts [4]. Böhme nennt dieses Nichts den "Ungrund."  Doch der Ungrund ist belebt durch eine Kraft, diese Kraft ist Wille.  Gott ist der Wille des Ungrunds.  Da es ausser ihm nichts gibt, kann der Wille nichts wollen als sich selbst, d.h. er kann sich nur auf sich selber richten.  "Er hat nichts dass er fassen kann, als nur das Ein, darinnen fasset er sich in eine Ichheit, auf dass der Wille etwas habe, darinnen und damit er wircket" ("Kurtzer Extract," 2).  Die Bahn des Willens aber, der aus sich herausgeht, um sich selber zu fassen, besteht nicht etwa aus zwei getrennten sukzessiven Bewegungen sondern ist nur eine Bewegung, ein harmonisch ablaufender Prozess -- man kann ihn sich als Kreis vorstellen -- so vollkommen, dass die einzelnen Phasen vertauschbar sind (im Text erscheint die "Selbstfassung" vor dem "Ausgang").  Um diese Einheit anschaulich zu machen, verwendet Böhme das Trinitätssymbol; für den Willen setzt er den Vater ein, für die Selbstfassung den Sohn und für den Ausgang des Willens, der sich selber fassen will, den Geist (vii.6ff.).

 Dieser Prozess ist die ewige Selbstgebärung Gottes, der "von Ewigkeit in Ewigkeit sich selber in sich" gebiert (i.2).  Böhme vertritt hier, was Berdjajew einen "metaphysischen Voluntarismus" nennt, der später von Schelling weiterentwickelt wurde [5].  Als Wille des Ungrunds führt Gott sich durch die Selbstfassung "in Grund" ein, d.h. er gibt sich eine Stätte: "Die ewige Weisheit oder Verstand ist seine Wohne" (i.2).  Die ewige Weisheit, beinah eine vierte Person der Gottheit ("die himmlische Sophia"), ist nichts anderes als der soeben angeführte Prozess der ewigen Gebärung Gottes, auch die "freye Lust" genannt (iii.4), der sich ausserhalb jeder Zeit und jedes Ortes vollzieht.  Das Adjektiv "frei" weist auf einen wichtigen Gedanken hin.  Hier bedeutet es frei vom Gegensatz; die freie Lust ist absolute Lust, denn noch gibt es keine Polarität.  In diesem Prozess herrscht keinerlei Spannung zwischen Lust und Ekel, Freude und Leid, Licht und Finsternis (iii.3).  Oder wie Böhme auch sagt, in der ewigen Gebärung ist weder Fühligkeit noch Schiedlichkeit.  Doch liegt in der freien Lust bereits "der ewige Urstand aller Kräften, Farben und Tugenden" (i.6), d.h. sie trägt die Welt in Embryogestalt in sich, ist die Uroffenbarung Gottes.

 Was liegt deshalb näher, als dass Böhme das Bisherige -- mehr im Anschluss an den gnostischen Logos-Begriff als an den des Johannesevangeliums -- mit einem weiteren Namen belegt: "das ewig-sprechende Wort" (ii.7).  Ein neuer Begriff, der dennoch dieselbe Sache meint.  Böhme frönt mit dem ganzen Reichtum seines Vokabulars dem echt barocken Hang zur Worthäufung, doch anders und mit ganz anderer Absicht als etwa Fischart.  Da sich das Unfassliche der exakten Definition entzieht, wird eine einengende Vielfalt zum bestmöglichen Ersatz knapper Klarheit.  Er trifft den Kern der Sache zwar nie genau, aber er zieht einen limitierenden Kreis um ihn.  Das ewigsprechende Wort ist darum nichts weiter als diese erste Offenbarung Gottes, auch das "Bewegen oder Leben der Gottheit" genannt (i.7), die Art und Weise, auf die Gott von sich Zeugnis gibt, sein Wort also.  Es ist nicht identisch mit Gott, auch wenn es als Leben und Bewegen Gottes bezeichnet wird.  Gemeint ist, dass Gott in allem lebt, weil alles in ihm seinen Urstand hat.  Er haust in dem "ewigen Chaos" dieser Urwelt (i.8), belebt sie als Wille, sie hingegen spiegelt ihn als noch ungetrübter Spiegel; ein grossartig-harmonisches Weben göttlicher Kräfte in Ganzheit, ohne Möglichkeit der Unterscheidung von Einzelkräften, ohne Spannung und Gegensätzlichkeit.

 Aber noch einmal geht der Drang über die Enge hinaus, denn mit der Selbstfassung des Willens ist das Werden aus Wille und Ungrund bei weitem nicht erschöpft [6].  "Und so sich dann die Lust also siehet, was sie ist, so führet sie sich in eine Begierde ein, zu empfinden was sie sey" (iii.4).  Der erste Prozess hat lediglich eine Stufe der Selbsterkenntnis der Gottheit gesichert, das Sehen.  Nun entsteht das Verlangen nach Fähigkeit der Unterscheidung, nach Erkenntnis also, von Böhme auch Empfindlichkeit oder Fühlung genannt.  Er wurzelt so stark in der anthropomorphen Gottesidee, dass er ohne weiteres die Funktionen menschlicher Fakultäten auf die ewige Gebärung der Gottheit überträgt.  Ein Erkennen kann noch immer nicht stattfinden, da selbst die oben beschriebene Harmonie noch ein Nichts ist.  Wo alles vorhanden ist, aber ungeteilt, fällt "alles" und "nichts" in eins. Nichts läbt sich vom andern unterscheiden, und für das sich selbst anschauende belebte "Nichts" bietet sich nichts dar als ein unendliches Einerlei aus lauter Gleichförmigkeit. Da es sich nicht in seiner Zusammensetzung erkennt, bleibt es sich selber unbekannt, solange es in der "freyen Lust" in unterschiedsloser Gleichschaltung existiert.  Das Verlangen nach Selbsterkenntnis (möglich nur da wo Unterscheidung möglich) aber ist genau das, was Böhme die Begierde nennt, die sich nun anbahnt.

 An diesem Punkt wird zum erstenmal der Versuch unternommen, die grosse Harmonie zu sprengen, da Unterscheidung und damit Erkenntnis nur dort stattfinden können wo es Kontrast gibt.  Berdjajew betont mit Recht, dass Böhme die Welt nicht mehr als urewige statische Ordnung, als starres, hierarchisches System betrachte sondern als Kampf und Werden, als feurigen dynamischen Prozeb (p. 318).  Hier jedoch beginnt die kosmische Tragödie, die sich in immer neuen Wellen über Luzifers Rebellion und Adams Abfall bis zum noch geltenden Fluch über die Erde fortsetzt.  Das biblische scientes bonum et malum (Genesis iii.5), die prägnanteste Formel für die allen Vernunftwesen eingeborene Unterscheidungs- und Erkenntnisleidenschaft, muss eins der grossen Erlebnisse Böhmes gewesen sein.  Der sich im Willen zur ungehemmten Erkenntnis offenbarende Freiheitsdrang -- "Erkenntnis" hier noch weit davon entfernt, den Primat des Intellekts zu bedeuten -- der seit der Renaissance im christlichen Abendland immer mehr an die Stelle gelassener Beschränkung trat, wird noch einmal zur Wurzel alles Übels erklärt, denn Luzifers und Adams Rebellion basieren auf demselben Impuls.  Darin, wie selbständig er sonst auch sein mag, ist Böhme vielleicht der letzte grosse Geist, der in der paulinischen Tradition steht, die sich über Augustinus und Luther fortsetzte.  So sehr er sich von der damals vorherrschenden Orthodoxie unterschied, in dieser Hinsicht ist er, wie Luther selbst, Reaktionär [7].  Man darf sich nicht von dem in Methode und Gedankengut zutage liegenden Freiheitsanspruch Böhmes täuschen lassen.  Toleranz liegt ihm so fern wie nur jedem vom Besitz der ausschliesslichen Wahrheit überzeugten Gläubigen.  Zwar unterliegt die göttliche Freiheit zur Erkenntnis nicht dem geringsten Zweifel, nicht aus Gründen der Ehrfurcht sondern aus solchen der Notwendigkeit, und es würde Böhme nie einfallen, Gott für den Ursprung des Bösen verantwortlich zu machen.  Er wird nicht müde, in immer wiederkehrender Apologie darauf hinzuweisen, dab ja ohne die Zerstörung der Harmonie die Selbsterkenntnis der Gottheit und der weitere Verlauf der Entfaltung unmöglich gewesen wären.  "Es würde doch nur ein Gleiches im Gleichen bleiben" (xxv.30) [8]. Aber die spätere Freiheit des Geschöpfs wird aus einer ganz anderen Perspektive betrachtet; sie erscheint nicht mehr als absolute Freiheit, sondern ist durch die göttliche Direktive eingeschränkt.  Das Nein des Geschöpfs stellt nicht einfach eine von zwei Möglichkeiten dar, sondern ist ein Missbrauch der Freiheit, der den Zorn Gottes zur Folge hat.  Der Präzedenzfall, der an dieser Stelle geschieht, wird von Böhme durchaus positiv gewertet, denn es handelt sich um die Gottheit selbst.  Aber alle weiteren Fälle ähnlicher Art, die ohne diesen ersten niemals stattfinden könnten, tragen das Stigma der Rebellion.  Die Freiheit des Geschöpfs zur Alternative kann sich nur noch als Aufgabe der Freiheit oder deren Missbrauch äussern.

 Böhme begründet die Begierde, aus der die erste Polarität erwächst, mit dem Hunger des Nichts nach dem Etwas; "und der Hunger ist die Begierde, als das erste Verbum Fiat, oder machen: Dann die Begierde hat nichts, das sie könte machen oder fassen" (iii.5).  Der Wille des Ungrunds, der ebenfalls "nichts hatte," richtete sich auf sich selbst; dasselbe tut die Begierde und führt sich somit "vom Ungrunde in Grund" (iii.5).  Das Schema der beiden Selbstfassungen ist das gleiche, aber der Unterschied im Ablauf ist fatal.  Hier wird die Harmonie durch die erste Gegensätzlichkeit gebrochen.  Der Prozess verläuft nicht mehr harmonisch, Ausgang und Rückgang sind nicht mehr eine, ungetrennte, ineinanderfliebende Bewegung sondern zwei entgegengesetzte Kräfte.  Böhme nennt sie das Einpressen (Selbstfassung) und das Ziehen (Ausgang), d.h. Anziehungskraft und Fliehkraft.  Das harmonische Aus-und-Ein des ersten Prozesses wird zum hoffnunglosen Neben- und Gegeneinander der beiden widerstreitenden Gewalten.  Sie sind eigenständige Kräfte, und das ist genau eine der Bedeutungen des Böhmischen Terminus "Eigenschaft."

 Zunächst einmal ist die Begierde selbst als Eigenschaft definiert.  Aber auch als Eigenschaft ist sie, für sich genommen, noch ein Nichts: "und bleibet doch als ein Nichts, es ist nur eine Eigenschaft, als eine Finsterniss; das ist der ewige Urstand der Finsterniss" (iii.5).  Die Betonung liegt auf der Einschränkung "nur eine Eigenschaft," und es ist leicht einzusehen, dass man den völligen Mangel an Unterscheidungsvermögen (darauf lief Böhmes Definition des Nichts hinaus) auf totale Finsternis ebenso gut anwenden kann wie auf das Einerlei der zunächst besprochenen grossen Harmonie.  Als Gestalt oder Eigenschaft hat die Begierde -- ganz im Gegenteil zur "freyen lust," die "von aller Anneiglichkeit frey, und Ö mit GOtt Eins" ist (iii.6) -- selber Eigenschaften: eben jene beiden Kräfte Anziehungskraft und Fliehkraft, die selbständig, oder wie Böhme es nennt, "eigenschäftig" wurden.

 Inzwischen darf man jedoch folgenden Sachverhalt nicht aus den Augen verlieren: "Die Begierde entstehet aus dem Willen zur freyen Lust" (iii.7), "darum so fasset auch die Begierde die freye Lust mit in der Compaction im Fassen, und führet sie mit in die Empfindlichkeit und Findlichkeit ein" (iii.6).  Freie Lust und finstere Begierde stehen in unmittelbarem Zusammenhang.  Schon die entgegengesetzten Beiworte deuten auf die Funktion dieses Prozesses hin: die freie Lust gewinnt an der finsteren Begierde einen Mabstab für die eigene Beschaffenheit.  Das wird in der Auswirkung der zweiten Eigenschaft der Begierde deutlich.  "Die 2te Gestalt oder Eigenschaft ist das Einziehen der Begierde, das ist ein Stachel, Rügen oder Bewegen.  Denn eine jede Begierde ist einziehende, und ist der Anfang des Bewegens, Rägens und Lebens Ö  Dann alhier urständet die erste Feindschaft zwischen der Herbigkeit oder Härtigkeit [erste Eigenschaft], und dem Stachel der Rügung [zweite Eigenschaft], Ö und das ist der wahre Grund und Ursach der Empfindlichkeit, welches in der freyen Lust der ewige Anfang des Bewegens der Kräfte, Farben und Tugenden, und der Göttlichen Freudenreich ist; und in der finstern Begierde ist der Urstand der Feindschaft, Pein und Quaal, und der ewige Urstand GOttes Zornes, und aller Unruhe und Wiederwärtigkeit" (iii.10-11).  Gerade weil in der freien Lust kein solcher Kampf zwischen Bewegung und Schwerkraft herrscht, hebt sie sich von der finsteren Begierde ab; sie erkennt sich am Gegenteil.

 Noch ist von Urstand und ewigem Anfang die Rede, die eigentliche Offenbarung erfolgt erst später.  Der Keim dazu aber wird hier gelegt, in der Bewegung der Begierde.  Noch deutlicher macht das die Beschreibung der dritten Eigenschaft.  Wären die beiden ersten mit gleichen Kräften ausgerüstet, so würden sie einander aufheben.  Aber Böhme sieht die Begierde dynamisch, ihre Kräfte heben sich nicht auf sondern wachsen aneinander.  Die Beschreibung dieses Kampfes ist ein glänzendes Beispiel der bildlichen Prosa Böhmes.  "Die Härte ist haltend und das Ziehen ist fliehend; Eins will in sich, und das Ander will aus sich: So es aber nicht voneinander weichen oder sich trennen kann, so wirds ineinander gleich einem drehenden Rade; Eins will über sich, das ander unter sich.  Denn die Härte gibt Wesen und Gewichte, und der Stachel gibt Geist und das fliegende Leben: Dis drehet sich miteinander in sich und aus sich, und kann doch nirgends hin.  Was die Begierde, als der Magnet, hart macht, das zerbricht das Ziehen wieder, und ist die gröste Unruhe in sich selber, gleich einer wütenden Unsinnigkeit" (iii.15-16).  Dieser wilde Reigen der Vergeblichkeit ergibt die dritte Eigenschaft, die als Angst bezeichnet wird.  Sie bereitet die erste Fühligkeit vor, wie Böhme es nennt.  Am nun beginnenden Kontrast gewinnen die verschiedenen Kräfte einen Massstab für das eigene Wesen.  Indem sie sich voneinander abheben, werden sie "ein jede in sich selber offenbar" (iii.12).  Dies positive Resultat kommt jedoch allein der freien Lust zugute, während die selbständig gewordene finstere Begierde nicht mehr dabei gewinnt als die eben beschriebene Angst, womit aber auch in ihr der "Urstand der Fühligkeit" gelegt ist, die allerdings einen ganz anderen Charakter trägt.  Urstand oder Keim: das ist auch auf dieser Stufe noch von Bedeutung, obwohl Böhme es im Handlungsgepolter der Ur-Entwicklung beinah vergessen hätte zu erwähnen.  Aber er verbessert sich rasch: "und wird alhier doch noch kein recht Fühlen verstanden bis zum Feuer" (iii.16).

 Damit ist das Stichwort gegeben für den Höhepunkt der bisherigen Entfaltung: die Offenbarung im Feuer.  Im ersten Prozess ermöglichte sich die Gottheit das Sehen.  Im zweiten Prozess, der Begierde, wurde als nächste Stufe das Fühlen vorbereitet.  Freie Lust und finstere Begierde aber entfernten sich hier ihrem Wesen nach immer weiter voneinander.  In der freien Lust entstand der Keim aller positiven Kräfte, in der Begierde hingegen der Keim der negativen.  Die Spannung zwischen beiden Polen ist ins Ungeheure gestiegen und drängt nach Entladung.  Hinzu kommt, dass die Begierde ebenfalls als Wille Gottes aufgefasst wird, wenn auch in anderer Form.  Dieser Wille richtet sich nicht mehr auf sich selbst, wie im ersten Prozess, sondern auf ebendiese freie Lust als Ganzheit.  "Verstehet, das ist der wiedergefasste Wille, der begehrend ist der freyen Lust GOttes.  Nun aber hat er in sich die grausame, herbe, harte, stachlichte, ängstliche Schärfe angenommen, und die freye Lust ist eine grosse Sanftmuth gegen der grimmen Natur, als ein Nichts, und da sie doch ist; diese beyde gehen nun gegeneinander, und ineinander.  Der scharfe Wille ist jetzt mächtig begehrend der freyen Lust, und die Lust ist begehrend des strengen Willens, und indeme sie ineinander gehen, und einander fühlen, so geschiehet ein grosser Schrack, als ein Blitz, auf Art wie sich am Firmament das Feuer oder Blitz anzündet" (iii.25).

 Wie immer an solchen Höhepunkten des kosmischen Dramas ist Böhmes Stil nicht minder faszinierend als das Gesagte.  Es gehört zu den Hauptmerkmalen seiner so realistischen Prosa, dass sie sich am Irrealen übt, dass sie eine bildliche Wiedergabe abstrakter Vorgänge anstrebt.  Aber der Eindruck leichterer Verständlichkeit, der durch die Alltagssprache Böhmes hervorgerufen wird, ist täuschend, denn greifbar werden nur die Bilder und Beispiele selbst, nicht aber das was sie erläutern wollen.  Die sinnliche Prosa macht den Gegenstand nicht fasslicher als die fachliche Terminologie.  Wo zudem noch religiöse Symbole, wie z.B. das Trinitätssymbol, die Sache veranschaulichen sollen, ersetzt einfach ein Mysterium das andere.  Die Bilder umschreiben lediglich den Gedankengang, das Gedachte selbst bleibt weiterhin unvorstellbar, ein Zug, der in allen mystischen Schriften anzutreffen ist.

 Der Feuerschrack ist nichts anderes als die Entladung der gewaltigen Spannung zwischen finsterer Begierde und freier Lust im Moment der Kollision.  Die Entzündung des Feuers hat die vorläufige schwerwiegendste Folge im Bereich der ewigen Natur.  Es wirkt wie ein Scheidewasser, das das Positive and Negative in zwei feindliche Bereiche teilt.  Licht und Finsternis sind getrennt.  Das "finstere Gemüth" wird "wesentlich," wie Böhme sagt, "als eine grosse Furcht vor dem Lichte" (iii,26).  Erst hier ist die volle Selbsterkenntnis erreicht, die durch die finstere Begierde angebahnt wurde.  In der jetzt empfindungsfähigen ewigen Natur, in der die einzelnen Kräfte sich voneinander abheben, kann Gott sich endlich wahrhaft offenbaren, nämlich als Gott des Zornes und als Gott der Liebe.  Im Feuer schieden sich zwei Bereiche, die in Wirklichkeit ein einziger sind, "aber sie theilen sich in der Essentz" (iv.1), in "Finsternis" und "Freudenreich."  Sie spiegeln den einen Gott in seinen beiden Haupteigenschaften.  Der Finsternis ist er der zornige Gott, dem Freudenreich hingegen der liebende Gott [9].  Auch die grosse Harmonie, die durch den Gegensatz gestört ist, ist wiederhergestellt; nicht als das alte kontrastlose Einerlei des Nichts, sondern als neue Harmonie, als Gleichgewicht der Kräfte, die zusammengenommen die "Natur" ausmachen, in der Gott sich in seiner Mannigfalt offenbart [10].  "Denn der heiligen Welt GOtt, und der finstern Welt GOtt sind nicht zween Götter: Es ist ein einiger GOtt; Er ist selber alles Wesen, Er ist Bös und Gutes, Himmel und Hölle, Licht und Finsterniss, Ewigkeit und Zeit, Anfang und Ende: wo seine Liebe in einem Wesen verborgen ist, alda ist sein Zorn offenbar" (viii.24).

 Der bisher beschriebene Prozess führte zwar zum Bruch der ursprünglichen Harmonie des Nichts, vollendet sich aber in einer neuen, weit erhabeneren Harmonie.  Er braucht sich von nun an nicht mehr zu wiederholen, d.h. das Böse brauchte nie in der Welt offenbar zu werden.  Jedem künftigen Geschöpf ist ein Platz in der Hierarchie Gottes angewiesen, aber es hat gleichzeitig die Freiheit, ihn zu bejahen oder abzulehnen.  Jedes Geschöpf wird somit fähig sein, in dem ihm zugewiesenen Bereich die Harmonie aufs neue zu zerstören; jedoch wird ihm die göttliche Kraft mangeln, sie wiederherzustellen.  Die Fähigkeit des freien Willens, zu zerstören, ist durch keine im Geschöpf befindliche Heilkraft ausgeglichen.  Das Böse kann also nie mehr blosse Funktion, blosses Mittel sein, wie es beim Offenbarungsprozess der Gottheit der Fall war.  Von jetzt an muss es danach trachten, sich in jedem abtrünnigen Geschöpf zu verselbständigen, um seiner selbst willen da zu sein -- wenn auch die Harmonie im Grossen immer gewahrt bleibt.  Die höchste Verpflichtung des Geschöpfs, das allein die Verantwortung für den Gebrauch des freien Willens trägt, besteht darin, nicht Kräfte wachzurufen, die es aus sich selber nicht bändigen kann.
[Das ist die heitere Weisheit von Goethes "Zauberlehrling"].
 

II. Luzifer

"Der Fall Lucifers ist nicht aus GOttes Fürsatz oder Verordnung geschehen; in GOttes Grimme, als nach der finstern Welt Eigenschaft ist er wol erkant worden, wie er geschehen könte oder würde: Aber in GOttes Heiligkeit, als im Licht, ist keine solche Begierde in solcher Eigenschaft offenbar; Ö Aber im Centro der ewigen Natur, als in den Gestalten zum Feuer, ist in der finstern Impression wol eine solche Eigenschaft." (ix.3)

 Wie alles Seiende stammen auch die Engel aus Gott.  Nach der Offenbarung im Feuer hat Gott seine Eigenschaften in lebendigen Kreaturen versinnbildlicht, die die verschiedenen Grade seines Wesens darstellen.  Die Engel, ursprünglich "allesamt in das Licht geschaffen" (ix.5), waren, um Böhmes Bild zu gebrauchen, das Instrument, auf dem Gott sich selber spielte.  Einzig die positive Seite der Gottheit hatte sich mithin zur Kreatur verdichtet.  Noch haben die Engel, und unter ihnen Luzifer, keinen Anteil an der Finsternis.  Aber sie besassen einen freien Willen "aus dem geoffenbarten Willen des Willens GOttes" (ix.5).  Hier ist das "frei" im wörtlichen Sinne gemeint.  Die Engel haben die Wahl, "als ein wolgestimmet Instrument in der Harmoney des Himmelreichs" (ix.18) zu verbleiben oder sich auf den eigenen Willen zu berufen und somit aus der Harmonie auszutreten.  Luzifer erkennt seine von Gott intendierte Funktion nicht an.  Sein freier Wille, der nach göttlichem Plan von sich aus den Willen Gottes bejahen und in ihm aufgehen sollte, drängte nach Selbständigkeit und Unabhängigkeit, "wollend in Finsterniss und Licht in starcker Feuers-Macht, als ein eigener GOtt, über und in allen herrschen" (ix.6) [11].

 In Luzifers trotzigem Verlangen, nicht nur eine Offenbarungsform der Lichtwelt sondern ebenso der Finsternis zu sein, manifestiert sich das Bestreben des Geschöpfs, die Beschränkung der ursprünglichen Anlage aufzuheben, weil es sie als Kerker empfindet.  Die Möglichkeit der freien Willensentscheidung entpuppt sich dabei nicht als Gnadengeschenk sondern als unwiderstehliche Versuchung.  Die Entwicklung, die zum Bruch der ersten grossen Harmonie führte, wiederholt sich auch hier.  Der Drang nach Vergrösserung des Aktionsradius und nach Vervollständigung des eigenen Wesens vererbt sich auf jede neue Stufe der Schöpfung.  Immer wieder führt er zur Katastrophe, aber er ist notwendig, denn ohne ihn käme die Dynamik der Emanation zum Erlahmen [12].   Man darf nun nicht glauben, Böhme hätte die individuelle Rebellion positiv gesehen, weil sie für die Entwicklung des Ganzen unerlässlich war.  Sein religiöses Denken liess ihn nicht über den Aspekt der Notwendigkeit hinausblicken.  Jeglicher Determinismus, der die persönliche Verantwortlichkeit des Geschöpfs verneint, ist ihm fremd, und er hätte das biblische Wort voll anerkannt, dass das Übel zwar in die Welt kommen muss, aber wehe dem, durch den es kommt (Matth. 18.7).  In dem leidenschaftlichen Stolz Luzifers, der auf dem freien Gebrauch des Willens besteht, lebt der Geist der Renaissance, über den hier noch einmal mit religiös-mystischen Argumenten zu Gericht gesessen wird.  "Der eigene Wille war der Anfang der Hoffart," schreibt Böhme (ix.9).  Erst spätere Generationen empfanden den stets sich aufs neue regenden Impuls, die vorgeschriebenen Grenzen zu durchbrechen, den Expansionsdrang des Geistes, der keine Schranken anerkennen will, als etwas Positives. Faust, nicht Mephisto, ist der Nachfahre dieses Luzifer.

 Es ist nicht der ins "Centrum" vorstossende freie Wille Luzifers allein, der seinen Fall verursacht, sondern ebenso sehr seine einseitige Anlage als Nur-Lichtwesen, die Böhme seine "grosse Schöne" nennt (ix.10).  Erst die eigene Herrlichkeit erweckt in ihm das Verlangen nach Vervollständigung.  Je ausschliesslicher eine einzelne Qualität  ausgebildet ist, desto unvollkommener ist der Träger an sich.  Vollkommenheit existiert nur in der Harmonie aller Eigenschaften.  Zwar kann Luzifer diese Harmonie in Gott finden, aber nur unter Aufgabe seines freien Willens.  Das jedoch würde ihn als eigenständiges Wesen auslöschen.  Deshalb seine Rebellion, er besteht auf Vollkommenheit, Harmonie aller Eigenschaften in sich selber.  Freiheitsdrang und Rastlosigkeit lassen die Geborgenheit in Gott als nichtig erscheinen.  Damit verlässt Luzifer die Passivität einer blossen Funktion und wird "eigenschäftig."  Er hat eine Eigenschaft angenommen, während er bislang nur eine verkörperte Eigenschaft war [13].

 Dem Verlangen Luzifers kommt die Finsternis entgegen, die "auch gerne creatürlich," d.h. in einem geschaffenen Wesen vertreten sein will (ix.9).  Sie fasziniert ihn, und er gerät gleichsam in ihren Sog.  Seine Begierde beschreibt nun die bekannte Bewegung, und "also überschattete dieser schöne Stern sein Licht, und machte sein Wesen gantz herbe, rauhe und strenge; ...  Da war es geschehen um den schönen Morgenstern, und wie er thäte, also thäten auch seine Legionen, das ist sein Fall" (ix.10).  Böhme stellt sich die Frage, ob Gott ihn hätte retten können, und verneint sie.  Hätte er das Licht in diesem Engel noch prächtiger gemacht, so wäre Luzifers Erkenntnis seiner Einseitigkeit nur umso schärfer und der Wille, sich zu vervollständigen, noch stärker geworden (ix.14).  "War doch sein hohes Licht und selbeigene Erkenntniss die Ursache seines Falls" (ix.15) [14].

 Luzifer ist nun nicht etwa aus Gottes Umkreis verschwunden.  Es ist seine Strafe, dass er nun statt des Lichts die Finsternis als ausschliessliches Bereich zugewiesen bekommt.  Aus der Verkörperung des Gottes der Liebe wird die Verkörperung des zornigen Gottes.  Die Finsternis oder Hölle aber ist kein abgelegener Ort irgendwo im All.  Finsternis ist dort wo das Licht nicht ist, das ist in Luzifer selber.  Luzifer, der Teufel, ist nichts anderes als der ins Gegenteil verkehrte Engel, und wo immer er ist, trägt er seine Hölle in sich [15].  Er ist in der Finsternis, weil ihm die Kraft verlorenging, im Licht offenbar zu sein oder auch nur das Licht zu sehen.  "Also ist uns zu verstehen, dass die bösen und guten Engel nahe bey einander wohnen, und ist doch die gröste unermessliche Ferne.  Denn der Himmel ist in der Hölle, und die Hölle ist im Himmel, und ist doch keines dem andern offenbar: und wenn der Teufel viel hundertmal tausend Meilen führe, und wolte in Himmel einfahren, dass er denselben sehen wolte, so wäre er doch nur in der Hölle, und sähe ihn nicht" (viii.28) [16].  Für die Engel stellt er den Gegenpol dar, an dem sie ihre eigene Schönheit erkennen.  Noch immer ist er Instrument Gottes, nur muss er jetzt im Finstern spielen.  Jetzt muss er spielen, denn nach der einmaligen folgenschweren Entscheidung gibt es für ihn keine Wahl und somit kein Wollen mehr.  "Als er sich aber hat freywillig aus GOttes Liebe-Willen entbrochen, so hat ihn jetzt GOttes Zorn-Wille in sich; da muss er ein Offenbarer und Wircker der finstern Welt Eigenschaft seyn, denn sie wollte auch creatürlich seyn" (xvii.30).

["How comes it then that thou art out of hell?" asks Marlowe's inquisitive scholar Faustus. And Mephostophilis' agonized answer: "Why this is hell, nor am I out of it. Think'st thou that I who saw the face of God  /  And tasted the eternal joys of heaven /  Am not tormented with ten thousand hells  /  In being deprived of everlasting bliss?"  Grief stricken and forgetting his current role (er faellt aus der Rolle) he warns Faustus: "O Faustus, leave these frivolous demands  /  which strikes a terror to my fainting soul!" (I.iii and again II.i and passim).]

 Durch die Rebellion Luzifers kommt es zur Bildung der Materie, und das meint wahrscheinlich Hankamer, wenn er von Luzifer als dem eigentlichen Weltschöpfer spricht (p. 304).  Böhme jedoch möchte es nicht so aufgefasst wissen und schreibt deshalb unmissverständlich: "nicht hat sie Lucifer gecompactiret oder geschaffen, sondern das sprechende Wort GOttes" (x.14).  Aber die Welt, die potentiell bereits vorhanden, und über die Luzifer als Fürst eingesetzt war, materialisiert sich im Moment des Abfalls.  Die Verbannung des Rebellen aus der ursprünglich nicht-materiellen Urwelt führt zu ihrer "Compaction" und "Coagulation," d.h. sie wird Materie.  Mit dem Wirken des Lichts -- dem Ursprung der Vegetation -- verliert er endgültig seine Herrschaft.  Der Beginn pflanzlichen Lebens macht den Sieg der Helle über die Finsternis offenkundig. [Note*]  Die Urwelt scheidet sich nun nicht in einen geistigen (positiven) und einen materiellen (negativen) Teil.  Vielmehr bleibt die alte Harmonie erhalten, nur manifestiert sie sich jetzt in der Materie wie zuvor im "Wesen."  So umgeht Böhme einen groben Dualismus von Geist und Stoff, in dem Gott und Teufel sich gegenüberstünden.  Statt dessen erscheinen auf viel subtilere Weise Gut und Böse gleichzeitig in der Materie, und diese selbst wird zum dritten Prinzipium.  Die Harmonie der Kräfte in ihr bleibt bis zum Fall des Menschen erhalten.  Erst dann verflucht Gott die Erde, das negative Prinzip bekommt die Oberhand, weil das gute in ihr ebenfalls unter dem Fluche stehen muss (x.8).

[[ Note*: When Noah's dove returned to the ark it was a sign that the water had receded and dry land was again supporting plant life. Here it is the effect of light, although the concept of photosynthesis was still unknown at the time.  It is interesting, however, that it was during Boehme's own time that the first scientific investigation of plant growth was made, by the Belgian chemist, physiologist, alchemist, mystic, and medical doctor Jan Baptista van Helmont. But it wouldn't be until the end of the eighteenth century that the Dutch physician Jan Ingenhousz demonstrated that plants need light - the "photo" in photosynthesis - in order to absorb carbon. But life is older than photosynthesis, by roughly one billion years. Could there be life in total darkness, fueled by chemical reactions? And if so, what would be the source of energy? The latest suspect is hydrogen. The Economist of October 10, 2009, has a tantalizing bit of reporting, Living where the sun don't shine, p.83, on the efforts of a team from the Woods Hole Oceanographic Institution who are about to explore the likelihood that hydrogen is "abundant in the vent of a particular type of [mid-ocean] ridge called an ultra-slow spreader." The scene is the Mid-Cayman Rise in the Crribbean, a mountain range under four miles of water. Their ship Cape Hatteras is on its way and will launch Nereus, an unmanned submarine that can withstand the pressure at such depth.]]

III. Der Feuerfunke aus Gottes Macht

 So lautet Böhmes glanzvolle Definition des ersten Menschen in seiner ursprünglichen Gestalt (xvii.42) [17].  War Luzifer ein Geistwesen, das über eine noch nicht materielle Erde herrschte, so ist Adam, der neue Herrscher, selbst aus Materie gebildet.  Er ist an Stelle des gefallenen Engels geschaffen, dessen Rang in der Hierarchie er einnehmen sollte.  Als wahres Abbild Gottes ist der Urmensch aus den drei Prinzipien des göttlichen Wesens geformt.  "Das erst ist die ewige Natur, Ö die finster und Feuer-Welt, Ö das ander ist die heilige Licht-Welt, Ö das dritte Reich oder Welt ist die äussere gestirnte und elementische" (xv.18-20).  Gott, der im Menschen und durch ihn herrschte, gewährleistete deren völlige Harmonie.  "Das Göttliche Licht temperirte alle Eigenschaften, dass sie alle mit einander in einem Liebe-Spiel stunden" (xvii.17).  Als körperliches Wesen bewegte sich der Mensch zwar in der äusseren Welt, als Geistwesen jedoch gehörte er in den Bereich des göttlichen Lichtes, da er aus Gottes Liebe entstand.  Aber selbst in seinem Leibe manifestiert sich das positive Element, denn er ist "ein Auszug des guten Theils der Erden" (xviii.7).  Somit war der erste Mensch zweierlei Natur, oder wie Böhme sagen würde, zwei Wesen in Eins.  Adam unterschied sich von den Engeln nur dadurch, dass er einen Körper besass.  Damit aber vergrössert sich die Möglichkeit des Abfalls.  Gab es bislang nur ein Gefahrenmoment, den freien Willen, so gesellt sich jetzt der Körper als zweites hinzu.  Und wirklich ist Adams Fall, wie wir sehen werden, ein zweifacher [18].

 Die beiden Wesen des Urmenschen, "als das innere himmlische und das äussere himmlische, waren ineinander vermählet, und in ein Corpus gefasset" (xviii.8), d.h. Adam war zweigeschlechtlich.  Seine beiden Naturen bewegen sich in einem inbrünstigen Verlangen aufeinander zu.  "Das Innere liebte das Aeussere, als seine Offenbarung und Empfindlichkeit; und das Aeussere liebte das Innere, als seine gröste Süssigkeit und Freudenreich Ö und waren doch nicht zwey Leiber, sondern nur Einer, aber zweyerley Essentz" (xviii.8).  Die Bewegung der beiden Essentien ruft die Begierde hervor, diese Liebeslust "in Substanz" zu fassen.  Das wäre die Geburt des zweiten Menschen als Ebenbild des ersten gewesen.  Die magische Geburt, wie Böhme sie nennt, war die von Gott gewollte Form der Fortpflanzung des Menschengeschlechts, denn, so glaubt er unter stillschweigender Berufung auf die beiden verschieden lautenden Genesisstellen, die von der Erschaffung des Menschen handeln (Genesis I.27 and II.7 and 21f) "hätte Er die viehische Schwängerung und Fortpflantzung begehret, so hätte er balde im Anfange Mann und Weib geschaffen" (xviii.5).  Die Fortpflanzung des einzelnen Menschen aus sich selbst wird zur Probe Adams, die erweisen soll, ob er den leeren Thron Luzifers einnehmen kann.

 Dass Adam die Probe nicht besteht, ist die Folge des sich immerfort wiederholenden Individualisierungsprozesses.  Auch hier liegen, wie schon bei Luzifer, der göttliche Plan, der dem Menschen einen bestimmten Platz im kosmischen Gleichgewicht zuweist, und der eingeborene Drang nach Vervollständigung im Widerstreit.  Zwar standen die drei Prinzipien in Adam "in gleicher Concordanz," nicht aber "ausser ihme" (xvii.34), d.h. er war den Einflüssen der Finsternis in gleicher Weise offen wie denen der Lichtwelt.  Während das Göttliche die Harmonie der verschiedenen Eigenschaften aufrechterhält, versetzt der einseitige Angriff Luzifers die in sich selbst ruhenden Kräfte in Aufruhr.  Der ewige Prozess des Verlangens nach der Disharmonie der Unterscheidung beginnt und damit die Geburt des menschlichen Eigen-Willens.  Adams Abfall trägt auch nicht annähernd die titanischen Züge der Rebellion Luzifers.  Während es diesem um Göttlichkeit ging, drängt Adam lediglich nach der Erkenntnis von Gut und Böse.  Bei Böhme erscheint sie als ein Wunschbild, das der fürsorgliche und hellsichtige Schöpfer dem Menschen gleichsam als Blickfang hinstellte, damit er nicht in Luzifers Masslosigkeit verfalle.

 Doch beginnt mit dieser Begierde, die nichts anderes darstellt als den Drang nach Erfahrung des Seienden in seiner Mannigfaltigkeit, auch für Adam der Ausbruch aus der Harmonie.  "Sein Wille ging aus der gleichen Concordantz aus in die Viele der Eigenschaften, denn er wolte sie probiren, fühlen, schmecken, hören, riechen und sehen" (xvii.37).  Adam, gleichzeitig Geistwesen und Mensch aus Fleisch und Blut, besteht auf der Kraft der Erkenntnis und dem Gebrauch der Sinne.  Das Verlangen nach Nutzbarmachung der Sinne bedeutet ein einseitiges Hinwenden zum aus Erde gemachten "äussern Leib" und Vernachlässigung des "himmlischen," der den äusseren verklärte.  Diese Begierde führt schliesslich zur Auflehnung gegen die von Gott geplante Fortpflanzung.  Adam strebt nach einer dem Leib angemessenen Form von Zeugung und Gebärung.  Selten verleiht Böhme seinem Geschlechtsekel so deutlich Ausdruck wie hier.

"Adam hat sich in seiner Vollkommenheit an den Thieren vergaft: Dieweil er Mann und Weib war, und die Magische Schwängerey in sich hatte, und sich in thierische Lust eingeführet, beydes nach thierischen Essen und Gebären: Also hat ihn auch das Fiat in derselben Lust gefangen, und also in seinem Schlaffe geformet wie die Lust war; und ein jedes Glied an seinem Orte zur Conjunction der viehischen Vermischung geformet, denn eine jede Begierde hat ihren Mund zur Offenbarung bekommen: Also hatte sich das Bilde GOttes im Verbo Fiat in ein solch Thier, wie wir noch heute sind, geformet, und dasselbe in sich selber, als des Menschen eigen Fiat, Ö hats gethan, und kein anderer Macher ausser ihm" (xix.25) [19].

In Adams Auflehnung fallen der Wunsch nach Unterscheidungsvermögen von Gut und Böse und das Streben nach Erdhaftigkeit in eins.  Seine Begierde ist so stark, dass er gleichsam einen "Versuch-Baum" vor sich heraufbeschwört (xviii.32).  In diesem Moment ergeht die Weisung Gottes an ihn: "Du solt nicht von diesem Baum der Erkenntniss Gutes und Böses essen."  Adam gehorcht dem Buchstaben des Verbots nach: "Und Adam ass auch nicht im Maule davon, allein mit der Imagination oder Begierde ass er davon" (xviii.33).  Und das ist seine Rebellion: die Auflehnung des Geistes; nicht eine Handlung, sondern der Willensakt, der ihr vorausgeht.  Wie Luzifer vor ihm besteht er auf dem eigenständigen Gebrauch des freien Willens.  Dem Geschöpf aber kommt nach Böhme keine andere Haltung zu als der Verzicht auf Erkenntnis, die nur um solchen Preis gewonnen werden kann.  Die christliche Sicht der superbia als Erzübel besitzt auch für ihn volle Gültigkeit.  Das Geschöpf, das sich selbst bejaht, macht sich der Auflehnung gegen den Schöpfer schuldig.  Die Dynamik der Polarität soll auf Gott allein beschränkt bleiben, nur ihm gebühren Erkenntnis und Bewusstsein.  Selbständigkeit ausserhalb der von Gott gewollten Funktion ist Ausbruch aus der Harmonie des Plans -- wenn auch die kosmische Harmonie erhalten bleibt, denn darüber besitzt das Geschöpf keinerlei Macht.  Luzifer und Adam waren als Spiegel nur eines Aspekts gedacht, nicht der ganzen Skala, die Gott vorbehalten bleibt.  Der freie Wille taugt somit zu nichts weiter als zu dem einen Willensakt, ihn für immer abzulegen, um durch die einmalige Tat eine Art höherer Unwissenheit zu erlangen, eine docta ignorantia, die Böhme für grösser ansieht als alle Erkenntnis.

 Im Augenblick der bewussten Entscheidung gegen den Willen Gottes gewinnt ein Prinzip in Adam die Oberhand, und die Harmonie in ihm ist zerstört.  Die magische Geburt kommt nicht zustande, weil Adam sie nicht will.  Gleichzeitig verliert er die Kraft, die Fortpflanzung aus sich allein überhaupt zu leisten.  So interpretiert Böhme den Schlaf Adams in der Genesis: "Alda sanck er zu hand nieder in Unmacht in Schlaff, als in eine Unvermögenheit" (xix.4).  Bis hierher hatte der Mensch im Paradiese den Schlaf nicht gekannt und damit noch keine Unterteilung der Zeit; er lebte in wörtlichem Sinne in der Ewigkeit.  Erst jetzt setzt für ihn die Erfahrung der Zeit ein.  Während des Schlafes wird aus dem bisher zweigeschlechtlichen Wesen Adam der Mensch Eva geboren [20].  Da Eva aus Adam hervorging, übernahm sie auch seine fatale Eigenschaft: die Begierde.  Und so ist die Voraussetzung zum endgültigen Fall des Menschen gegeben, der sich in Adam zwar angebahnt aber noch nicht ereignet hatte.

 Erst drei Kapitel nach demjenigen, das "vom kläglichen und elenden Fall und Verderben des Menschen handelt" (xx), formuliert Böhme seine Interpretation des Falles deutlich als "viehische Vermischung" (xxiii.24).  Jetzt "empfing die menschliche Essentz die Essentz im Baume" (xx.29), d.h. die Erkenntnis von Gut und Böse.  Aber anstatt sie auszudehnen, verringert der Gebrauch der freien Entscheidung die Möglichkeiten menschlicher Entfaltung.  Er führt zur Erniedrigung des Menschen vor sich selbst.  "Als nun Adam und Eva in der thierischen Eigenschaft aufgewacht waren, so stund das Thier alda nackend und blos, dann zuvor hatte das Himmels-Bilde den äussern Menschen gantz durchdrungen und bekleidet mit Göttlicher Kraft" (xxi.15).  Die von Böhme als demütigend empfundene Selbsterkenntnis tritt erst nach dem endgültigen Fall ein, sie ist Teil des Fluches, den dieser nach sich zieht.  Während die erste Stufe des Falles ein Wertverlust war, führt die zweite zum Verlust der Unbefangenheit, denn das "Paradies" war lediglich die besondere Gemütsverfassung, in der sich Adam und Eva im Garten Eden befanden.

 Der Fluch, den Gott über die Erde ausspricht, "ist anders nichts, als dass sich das H[eilige] Element Ö verbarg: der Himmel in der Erden verbarg sich vor der Erden" (xxiv.2).  Das ist nach Böhme die eigentliche Bedeutung der biblischen Dornen und Disteln (Genesis III,18).  Der Mensch hat die Erde entgöttlicht und sich das Himmlische zum unbegreiflichen Mysterium gemacht, denn auch in ihm selbst hat sich das göttliche Ens, die Seele, verborgen.  Doch überlebt sie den leiblichen Tod und wartet auf Wiedererweckung, d.h. die Wiederherstellung des "jungfräulichen Menschen" durch Gott.  Durch die Verheissung der Gestalt Christi ist ihm die Gewissheit gegeben, dass er selbst und die Erde einst in der ursprünglichen Form wiedererstehen werden.  Bis dahin bleibt er im Anziehungsbereich beider Pole des göttlichen Wesens, versinnbildlicht in Luzifer und Christus.  Er besitzt weiterhin die Freiheit, sich für das eine oder andere zu entscheiden.  Dem herrisch wählenden und verwerfenden Jehova des Prädestinationsglaubens stellt Böhme einen milderen Gott entgegen, der in erhabener Selbsbeschränkung dem Menschen den nötigen Spielraum zur Alternative einräumt.  Er ist fähig zur Sünde wie zur Heiligkeit, zur Wahrheit wie zur Lüge.  "Dann der Zorn ist im Menschlichen Ente räge worden, und hanget am guten Ente an, und der Wille der Feuer-Seelen ist frey, und er schöpfet sobald im Zorn-Ente als im Liebe-Ente" (xxii.27).  Wie immer der Mensch sich auch entscheiden mag, er bleibt eine Offenbarungsform göttlicher Eigenschaft.  Dasjenige der beiden Prinzipien, für das er sich in dieser Welt entscheidet, wird ihm auch nach dem Tode anhaften, wenn das dritte -- die Materie -- von ihm abgefallen ist.

 Böhmes eigenes Schlusswort, gleichzeitig sein Fazit und Anliegen, soll die Arbeit beschliessen.  Es liest sich fast wie ein Kommentar zum bekannten Satz des Augustinus: "Unruhig ist unser Herz bis es ruht in Dir," und gehört zum Schönsten, das über das Wesen der Gelassenheit geschrieben wurde.

"Kein Ding kann in ihm selber ruhen, es gehe dann wieder in das ein, daraus es gegangen ist: das Gemüth hat sich von der Einheit gewandt in eine Begierde zur Empfindlichkeit, Ö dadurch ist in ihme die Schiedlichkeit und Wiederwillen enstanden, welche nun das Gemüth beherrschen: und davon mag es nicht entlediget werden, es verlasse dann sich selber in der Begierde der Eigenschaften, und schwinge sich wieder in die allerlauterste Stille, und begehre seines Wollens zu schweigen, Ö dass er [der Wille] in sich nichts mehr wolle, ohne was GOtt durch ihn will; so ist er in dem tiefsten Grunde der Einheit: Und ist es dann, dass er mag eine kleine Weile darinnen stehen, ohne Bewegniss eigener Begierde, so spricht ihme der Wille des Ungrundes aus Göttlicher Bewegniss ein, und fasset seinen gelassenen Willen, als sein Eigenthum in sich ein, und führet darein das Ens der ewigen Infasslichkeit der Stätte GOttes, als das wesentliche Eine."  ("Kurtzer Extract," 7.)

[Last edited October 12, 2009]
 

Notes.

1 Jacob Böhme, Sämtliche Schriften, ed. Will-Erich Peuckert, Vol. viii (Stuttgart, 1958), 651 (lxi.60).  Die Bände vii und viii dieses Faksimile-Neudrucks der Ausgabe von 1730 enthalten das Mysterium Magnum.  Alle Zitate nach diese Ausgabe.  Es besteht natürlich die Möglichkeit, dass es sich oben einfach um ein Versehen des alten Herausgebers handelt.

2 Bornkamm bemerkt, dass Luther es nie gewagt habe, das Böse aus Gott herzuleiten.  Heinrich Bornkamm, Luther und Böhme (Bonn, 1925, p. 150).

3 Zu Böhmes allegorischer und praefigurativer Methode siehe besonders xliii.57 und xlvi.29.

4 An anderer Stelle heibt es: "GOtt ist keine Person als nur in Christo, sondern Er ist die ewig-gebärende Kraft" (vii.5).  Angesichts solcher Formulierungen ist es begreiflich, dab die zeitgenössische Orthodoxie Böhme als Häretiker empfand.

5 Nikolai Berdjajew, "Jakob Böhmes Lehre von Ungrund und Freiheit," trans. Hans Ruoff, Blätter für deutsche Philosophie, vi (1932), 325.

6 Alexandre Koyré hat diesen Impuls sehr schön begründet.  "La structure que la volonté s'est donnée ou qu'elle a acquise est aussi celle de la réflexion Ö. un mouvement libre Ö est un mouvement inconscient.  Il faut qu'une résistance le limite pour qu'il se révèle à soi-même.  La volonté indéterminée est une volonté inconsciente."  La Philosophie de Jacob Böhme (Paris, 1929), p. 338.

7 Berdjajew sieht in Böhmes Ablehnung gelehrter Systeme und ihrer Vertreter sowie in seinem Anspruch, statt ihrer die Natur zum Lehrer zu haben "die Renaissance-Auflehnung gegen die Scholastik und die Hinwending zur Natur selber" (316).  Aber handelt es sich nicht einfach um die Freiheit in Sachen der Bibelinterpretation, die der Protestant und Nachfahre Luthers für sich in Anspruch nimmt?  Böhme ist der neueren protestantischen Orthodoxie ebenso abhold wie der alten römischen.  Er wehrt sich gegen alle offizielle Bevormundung in religiösen Dingen.  Aber er würde niemals die Haltung eines Geschöpfs billigen, das von dieser Freiheit Gott, bzw. den in der Bibel formulierten Grundsätzen gegenüber Gebrauch macht.  Die Freiheit, die Böhme dem Individuum zuerkennt, ist durchaus die traditionell christliche, sie mündet im absoluten Gehorsam gegen Gott und in der bedingungslosen Hinnahme der Beschränkungen, wie sie in der Schrift bzw. deren Auslegung gefordert sind.

8 Die schönste Verteidigung findet sich erst viel später.  "Denn so nur einerley Wille wäre, so thäten alle Wesen nur Ein Ding, aber im Wiederwillen erhebet sich ein jedes in sich selber zu seinem Sieg und Erhöhung; und in diesem Streite stehet alles Leben und Wachsen, und dadurch wird die Göttliche Weisheit offenbar, Ö ein einiger Wille ist ihm selber nicht offenbar; Ö so muss sich Ö das Eine, als der einige Wille, erst in ein Wiederspiel mit ihme selber einführen, auf dass er sich möge offenbaren" (x.1.8).  In diesem Zusammenhang erhebt Bornkamm den Einwand, Böhme nehme dem Bösen seine eigentliche Macht, indem er seine Notwendigkeit ableite (p. 156).  Das ist nicht ganz einzusehen.  Für Böhme handelt es sich weniger um die absolute Notwendigkeit des Bösen als um dessen Erscheinung als unausweichliche Folge des oben beschriebenen Prozesses.  Die Akzente liegen anders.  Das Böse deshalb als weniger mächtig anzusehen, wäre Böhme sicher nie eingefallen.

9 Böhme betont ausdrücklich, dass das Böse nicht eigens von Gott geschaffen wurde (iii.2).  An diese Stelle beschränkt er sich einmal nicht auf das Argument, dass es der Gutheit Gottes widerspräche.  Er weigert sich vielmehr, dem Guten wie dem Bösen einen zeitlichen Anfang zuzuerkennen; beides ist so ewig wie Gott selber.  Vgl. auch lxi.61ff.

10 Koyré schreibt im Anschluss an den Satz "In Ja und Nein bestehen alle Dinge": "Ce qui veut dire, qu'il y a en Dieu lui-même le oui et le non; qu'il est une synthèse des contraires, et qu'il s'exprime dans les contraires" (p. 396).  Der Dualismus ist in Gott aufgehoben.  Vgl. auch Howard H. Brinton, The Mystic Will (New York, 1930), p. 208.

11 Vgl. hierzu Paul Hankamer, Jakob Böhme (Hildesheim, 1960), p. 301: "Persönlichkeit in dem Sinne dass auch eine bewusste Eigenwilligkeit gegen den Allwillen besteht wird erst nach dem Abfall Luzifers Ereignis" (p. 301).  Etwas später schreibt Hankamer: "Die Sucht zum Gegensatz schafft bewusstes Leben des Persönlichen und ist Leidenschaft zu sich selbst" (p. 319).  Man möchte den Satz eher umdrehen: Die Sucht zum Persönlichen und zur Erkenntnis schafft den Gegensatz.  Koyré bemerkt mit Recht, dass Luzifer nicht Luzifer sei, bevor er sich für oder gegen Gott entschieden habe (p. 432).

12 Berdjajews Behauptung, bei Böhme handle es sich nicht um Emanationslehre (p. 321), ist mir nicht ganz verständlich.

13 Er [Luzifer] will das Rein-Böse und ist das ewige Nein," schreibt Hankamer in diesem Zusammenhang (p. 330).  Das ist nicht Böhmes Luzifer sondern Goethes Mephisto.  Luzifer und später Adam haben den Drang nach Erkenntnis und Weite der Erfahrung übernommen und sind viel eher mit Goethes Faust- und Prometheusbild zu vergleichen, das sie, wenn auch auf Umwegen, sicherlich beeinflusst haben.  Auch besteht der Unterschied des Menschlichen vom Luziferischen wohl nicht, wie Hankamer ihn sieht, im Unterschied zwischen Künstlersucht, schöpferischem Drang einerseits (p. 329) und absolutem Nein andererseits, sondern lediglich in der Tragweite des Abfalls, nicht im Wesen.  Es handelt sich beidemale um ein aufsässiges Nein.  Hans Grunsky, Jacob Böhme (Stuttgart), 1956), schreibt zu dieser Stelle: "Sein [Luzifers] schrankenloser Machttrieb ist das Bestreben 'immer über des Herze Gottes auszufliegen.'  Da dies soviel bedeutet, wie die Seinstotalität selber transzendieren wollen, ist es ein absurder Narrenflug" (p. 243).  Das ist zwar ein logischer Schluss, aber sicherlich überinterpretiert.  Wie so oft bei Böhme, darf man den Satz nicht wörtlich nehmen, sondern muss ihn metaphorisch verstehen.

14 Berdjajew schreibt: "Er [Böhme] war bereit, die Allmacht und Allwissenheit Gottes zu opfern und anzunehmen, dass Gott die Folgen der Freiheit nicht vorausgesehen habe.  Er sagt, Gott habe den Fall der Engel nicht vorausgesehen" (331).  Mir scheint, dass die zu Anfang dieses Kapitels zitierte Textstelle (ix.3) dem widerspricht.

15 Walter Feilchenfeld hat diesen Sachverhalt sehr schön formuliert. "'Böse' ist überhaupt kein absoluter Begriff, sondern nur der Ausdruck für ein inneres Missverhältnis von Dingen, die in ein wesensfremdes Prinzip getreten sind."  Der Einflub Jacob Böhmes auf Novalis, Germanische Studien, Heft 22 (Berlin, 1922), p. 7.

16 An anderer Stelle schreibt Böhme: "Also lieget er zwischen Zeit und Ewigkeit in der Finsterniss gefangen bis ins Gerichte GOttes" (xii.35).  Auch in diesem Satz sollte man nicht mehr sehen als Böhmes Metapher für die absolute Verbannung Luzifers aus dem positiven Bereich.

17 Zuvor hiess es vom Memschen: "Du bist eine kleine Welt aus der grossen, dein äusseres Licht ist ein Chaos der Sonnen und des Gestirnes, sonst köntest du nicht vom Sonnen-Licht sehen" (ii.5).  Das ist ein bereits der Antike geläufiges Bild vom Menschen (später zum Begriffspaar Makrokosmos-Mikrokosmos erweitert), auf das sich auch Goethes bekannte Verse berufen: "Wär nicht das Auge sonnenhaft, / Die Sonne könnt' es nie erblicken; / Läg' nicht in uns des Gottes eigne Kraft, / Wie könnt' uns Göttliches entzücken?"

18 Vgl. zum Folgenden die schöne, jedoch allgemeiner gehaltene Darstellung bei Ernst Benz, Adam, Der Mythus vom Urmenschen (München, 1955), pp. 16-20.

19 Aufschlussreich in diesem Zusammenhang ist Böhmes Auslegung des Genesisberichts, wonach Sarah, die Frau Abrahams, noch im hohen Alter einen Knaben gebiert.  Für Böhme wird Sarah erst dann fruchtbar, als sie nicht mehr der körperlichen Lust sondern der Aufrechterhaltung des "Bundes" wegen nach Geschlechtsverkehr verlangt.  Hagar wird als Werkzeug Gottes gedeutet, den Wechsel in der Haltung Sarahs zu erzwingen (xl.28).  Dagegen findet sich in li.1 eine präfigurative Interpretation dieser Stelle.

20 Hierzu schreibt Benz: "Der erste Fall des Menschen ist der Fall aus der Einheit in die Vielheit, und er vollzieht sich als ein Schritt aus der androgynen Einheit in die Zweiheit des Geschlechts.  Darum ist das Ziel aller Liebe die verlorene Einheit" (p. 19).