This essay first appeared in

Journal of English and Germanic Philology. April, 1962

DER ACKERMANN AUS BÖHMEN

Herbert Deinert, Duke University

Soweit die Meinungen der Forscher auch über Text, Quellen und philosophische Ausrichtung des Ackermann auseinandergehen, über eins ist man sich einig, dass es sich um ein Streitgespräch handelt, in dem die Gesprächspartner diametral entgegengesetzte Anschauungen zum Ausdruck bringen.  Diese PoIarität beherrscht nicht nur das Gegeneinander der Argumentation, sondern ebenfalls die strukturelle AnIage der Dichtung selbst.  Bis in die Einzelheiten der Kontroverse hinein kann nachgewiesen werden, wie die Dialoge paarweise zusammengehören, wie die angeschlagenen Themen von zwei Seiten beleuchtet werden, wie Bilder und Ausdrucksformen, die die Anklage zuerst gebraucht, von der Rechtfertigung geschickt aufgenommen und umgewandelt werden, um dann hier nicht weniger Schlagkraft abzugeben als dort, obwohl--und auch dies gehört hinzu--beide Partner ständig aneinander vorbeireden [1].   Die Forschung hat sich viel mit der ideengeschichtlichen Einordnung des Ackermann befasst, einerseits, dass er im Mittelalter beheimatet sei, weil er sich weitgehend der mittelalterlichen Dichtung als Quelle bedient, oder weil es in ihm nichts gebe, das dem System des Thomas von Aquin widerspreche [2],  andererseits, dass er ein Zeichen der beginnenden Neuzeit, der Renaissance und des Humanismus sei, da er sich von einer dogmatischen Bindung losreisse, die den Tod mit in die akzeptierte und als gültig empfundene Weltordnung einbeziehe [3].   Hübner nimmt in den wenigen Bemerkungen, die er zu diesem Thema macht, eine sympathisch vorsichtige Mittelstellung zwischen Schafferus und Burdach ein [4].   Die Hauptschwierigkeit liegt darin, dass im Ackermann zwei Anschauungen vom Menschen zum Ausdruck kommen, die auf den ersten Blick unvereinbar scheinen. Jedoch handelt es sich bei den entgegengesetzten Formulierungen, die KIäger und Tod vortragen, weit weniger um eine weltanschauliche Kontroverse als darum, dass beide aus völlig verschiedenen Perspektiven sprechen.  Darauf soll diese Arbeit kurz eingehen.  Vor allem aber möchte ich versuchen, ein Hauptteil der Klage des Ackermanns aus der Rolle zu erklären, die die Frau in seiner Weltordnung spielt.

 Die beiden ersten Kapitel bleiben ohne wirkliche Auseinandersetzung.  Sie dienen lediglich dazu, den Raum abzustecken, in dem das rhetorische Gefecht stattfinden soll.  Ständig meint man den Dichter durch die Zeilen lugen zu sehen, gleichviel ob Tod oder Ackermann gerade das Wort haben.  Die Streitenden werden vorgestellt.  Die Tote wird gewürdigt; wir erfahren, was sie dem Ackermann war, und wie der Tod über sie denkt, der übrigens in der ganzen Dichtung nicht wieder so positiv vom Menschen spricht.  Ferner wird die Form der Dichtung ausdrücklich betont.  Der Tod "will die Klage des Ackermanns nicht bloss um ihres Inhalts und Ziels, sondern auch um ihrer neuen künstlerischen Form und ihres persönlichen Erlebnisgehalts willen als 'ungehorte teidinge' hinstellen" [5].  Wie wenig Hoffnung der Dichter dem Ackermann in Wirklichkeit macht, wird bereits im zweiten Kapitel deutlich: "Wene nicht, das du unser [des Todes] herliche und gewaltige macht immer mügest geswechen" [6].   Das ist der vorausgenommene und später vom Kläger in Bausch und Bogen akzeptierte Schiedsspruch Gottes.

Wo die Forschung über das herrliche Bild vom Menschen spricht, das sich im Ackermann offenbare, bezieht sie sich gewöhnlich auf Kapitel XXV, und durchaus mit Recht.  Übersehen wird jedoch germeinhin, dass der Ackermann neben seinem "Hymnus" auf den Menschen, der gesondert zu behandeln sein wird, ein äusserst trübes Bild seiner eigenen Situation entwirft.  Nicht weniger aufschlussreich als die gewöhnlich überinterpretierte Antwort des Ackermanns auf die Degradierung des Menschen durch den Tod in Kapitel XXIV ist des Klägers Beschreibung seiner eigenen Stellung vor dern Tode.  Der Ton der Klage ist irreführend; der Ackermann führt sich auf, als stünde er wirklich vor Gericht, als hätte er wirklich Hoffnung auf einen für ihn günstigen Schiedsspruch.  Wie wenig er selbst davon überzeugt ist, auch wenn Gott ständig um Rache angerufen wird, kommt in seinen Formulierungen immer wieder zurn Ausdruck.  Und in diesern Lichte sollte man eine Redeweise sehen, die einerseits hart an die Grenze des Prometheischen, andererseits nicht minder hart an die Grenze des Albernen streift.  Der Ackermann ist sich seiner Ohnmacht dem Tode gegenüber und der Unwiederbringlichkeit der Toten durchaus bewusst, ja die Intensität der Klage hat gerade ihren Grund in diesem Bewusstsein. "Ir habt unwiderbringlichen raub an mir getan" (III). "Jamerig muss ich bis an mein ende harren, entweret aller freuden" (IX). "Ir schaffet nicht, wan mich reuet mein serige verlust, die ich nimmer widerbringen [7] mag" (XI).   Solche Beispiele liessen sich fast beliebig häufen.  Dem widerspricht durchaus nicht, wenn der Ackermann auf des Todes "Du selber wirst uns nicht entrinnen" mit der fast vermessenen Antwort auftrumpft: "Got ... getraue ich wol, er werde mich vor euch beschirmen . . . " (X).  Hier liegt vielmehr eine der vielen Stellen vor, wo Ackermann und Tod aneinander vorbeireden.  Der Ackermann glaubt offenbar, sein Gegner drohe mit persönlicher und willkürlicher Rache, während der Tod lediglich konstatiert, dass der Ackermann ihm wie jeder andere einmal anheimfallen muss.  Es geht dem Kläger zunächst auch garnicht um sachliche Auseinandersetzung, sondern einfach um eine aus der persönlichen Not erwachsene Rebellion gegen ein Schicksal, von dessen Unvermeidlichkeit er im Grunde selbst überzeugt ist.

Mit einem selbstgewissen und auf den Umfang menschlicher Möglichkeiten gegründeten Übermenschentum hat dies nichts zu tun.  Noch weniger kann von menschlicher Autonomie die Rede sein, wenn man sich die trostlose Verfassung des Ackermanns nach dem Tode seiner Gattin vor Augen führt.  "Also treibet mich der wind, ich swimme dahin durch des wilden meres flut, die tunnen baben überhand genomen, mein anker haftet ninder" (III).  Abgesehen von der poetischen Schönheit dieser Klage kommt hier das genaue Gegenteil von dem zum Ausdruck, was man als Preislied auf starkes Menschentum bezeichnen möchte. Die Klage um den Verlust der Gattin wird nicht etwa auf einer angenommenen menschlichen Vollkommenheit aufgebaut, die es verdiente, unsterblich zu sein, sondern auf den Folgen, die einem Menschen aus dern Tod eines anderen entstehen.  Hier liegt die erste Bedeutung des immer wiederkehrenden "schändlicher Tod."  Der Mensch, der in Gemeinschaft mit einem anderen geliebten Menschen einen als von Gott intendiert empfundenen Zustand von Glück und Behaglichkeit erfuhr, wird plötzlich durch den Verlust dieses Menschen in die genau entgegengesetzte Situation geschleudert.  Ohne den Fall zu sehr pressen zu wollen, möchte man sagen: am Erlebnis der eigenen plötzlichen Haltlosigkeit nach vorherigem ausgeglichenen Glück erfährt der Ackermann die negative Erscheinung des Todes.  Das "Verbrechen" des Todes besteht nicht in der Vernichtung der "Krone der Schöpfung" etwa, ist keineswegs sachliche Bezeichnung eines objektiv gesehenen Vorfalls.  Durch die Klage des Ackermanns zieht sich wie ein roter Faden nur ein Grundthema: der Raub, den der Tod an ihmbegangen.  Immer wieder kommt er in nicht abreissenden Bildern, teilweise aus der mittelalterlichen Mariendichtung entlehnt, darauf zurück, was die Tote für ihn bedeutete.  Es ist müssig, Wörter zu zählen, aber die Pronomina mir, mich, mein kommen fast in jeder Zeile vor.  Es versteht sich von selbst, dass dem Ackermann hier kein billiger Egoismus unterschoben werden soll.  Das widerspräche der Intention des Dichters, der den Kläger die Gattin so lieben lässt, dass er ein reines, züchtiges und schönes Weib zur Gabe vor aller Gabe erhebt (IX).  Die Versuche, den Tod die Frau aus dieser Sicht sehen zu lehren, müssen fehlschlagen, wie der Ankläger wohl weiss; denn der Tod, "der aus disem jungbrunnen nie hat getrunken" (IX), ist letztlich inkompetent.  Der Ackermann erfährt am Adel der eigenen Gattin den hohen Grad menschlicher Möglichkeit überhaupt; anders gesagt, er schliesst von der Bedeutung der verstorbenen Gattin für ihn selbst auf ihre menschliche Qualität.  Der Tod hingegen kann den Menschen aus dieser Perspektive nicht sehen und weiss an der Verstorbenen nur den unversehrten "erenkranz" zu rühmen, und dass sie "frum und wandelsfrei" geblieben (IV).

Man kann das eigenartige Paradox der Dichtung vielleicht so formulieren: gerade an der eigenen Unzulänglichkeit offenbart sich dem Ackermann die Grösse des Menschen--des anderen.  An dem ungeheuren Leid, das bis zurn Überdruss immer wieder ausgeschrieen wird, ist der Wert des Menschen messbar, den ihm der Tod geraubt hat.  Man müsste ganze Teile der Dichtung zitieren, wollte man alle die Titel anführen, die der Ackermann für die Verstorbene erfindet.  Zusammenfassend darf man sagen, dass es sich fast um eine Apotheose der Gattin handelt.  Sie bedeutet ihm alles; ausgenommen ist eigentlich nur Gott, aber selbst in der Beziehung zu ihm war sie dem Ackermann unentbehrlich.  Er sah sie beinahe als Mittlerin, mediatrix dei: "Er [Gott] was auch mir günstig und genedig durch iren willen; Heil, Selde und Gelücke stunden mir bei durch iren willen.  Das het sie an Got erworben und verdienet, die reine hausere" (XI).  Ohne diese Stelle überinterpretieren zu wollen, möchte man doch leise Zweifel an Burdachs Ansicht äussern, die im Ackermann den Zeugen "eines menschlichen Christentums" sieht, "das den Weg zu Gott ohne alle Vermittlung findet, allein aus dem eigenen Herzen" (S. 108).  Wir erhalten zunächst alsoóum es vorsichtig zu sagen--das Bild eines Menschen, der den liebenden Mitmenschen braucht, um ein glückliches, gesichertes, überhaupt sinnvolles Dasein zu führen.

Bei einer Dichtung, die sich auf recht offenkundige Weise einen religiösen Rahmen gibt, legt solch eine Feststellung die Frage nach der Funktion Gottes nahe.  In Ausbrüchen der Ratlosigkeit wie "Wes sol ich mich nu freuen?   Wo sol ich nu trost suchen?  Wo sol ich nu heilstet finden?  Wo sol ich nu treuen rat holen?  Hin ist hin!" (XIII) kommt eine rührende Diesseitigkeit zum Ausdruck, die auch durch die wiederholten Gottesanrufe nicht an Eindringlichkeit verliert.  Was dem Ackermann Gott im Grunde bedeutet, lässt sich schwer sagen; sicher ist er ihm kein "Trost im Leiden."  Sein Gott ist so fern, so unpersönlich, so sehr höchste richterliche Instanz und rächende Gewalt--das Gebet ausgenommen wird er in keiner anderen Funktion angerufen als ebendieser--dass man zur Annahme gelangen könnte, die Anrufung dieses Gottes der Rache sei lediglich rhetorischer Gipfelpunkt der Klage, Effekthascherei und nicht ganz ernst zu nehmen.  Doch soll das hier auf sich beruhen.  Es ging lediglich darum, einen der möglichen Gründe aufzuzeigen, die den Ackermann veranlassen, all die Attribute, mit denen die religiöse Dichtung gemeinhin Gott belegt--wie Güte, Weisheit, Milde, Rat, Zuflucht, Freude, Heil, u.s.w.--anderswo zu suchen.  Dass er gerade mit diesen Qualitäten seine Gattin auszeichnet, zeigt nur, wie fern ihm sein Gott ist, und wie sehr er deshalb der Mittlerschaft der Frau zu bedürfen glaubt.

Niemandem ist diese subjektive Beurteilung der Toten mehr zuwider  als seinem grossen Gegner, der den Tod der Frau von der Toten aus beurteilt und sehr plausibel beweist, dab ihr "gütlich und genediglich" geschehen ist, da sie bei "fröhlicher jugend" gestorben sei (XIV).  Wer möchte dem Ackermann zumuten, dies einzusehen?  Ebensowenig kann er den Tod der Gattin als Strafe anerkennen, denn dann hätte Gott ihn selber sterben lassen (XV).  Dieser Punkt ist interressant, weil er eine Interpretation vom Tod als "der Sünde Sold" (Römer vi. 23) zeigt, die unter Sünde nicht Erbsünde versteht sondern eine persönliche Schuld.  Hier kommt eine Haltung zum Ausdruck, für die das Pauluswort nicht zu gelten scheint.  Und da die Frau in den Augen des Ackermanns wie nach dem Zeugnis des Todes frei war von persönlicher Schuld, ist ihr Tod ein Unrecht, das die Rache Gottes herausfordert.  Nur ein einziges Mal wird die Sterblichkeit mit dem unerlaubten Essen vom Baum der Erkenntnis in Verbindung gebracht (XVI).  Sonst verteidigt der Tod seine Existenzberechtigung gerade nicht mit religiösen Gründen sondern mit soziologischen und biologischen und--als der Kläger all das nicht anerkennen will--einfach damit, dass es so ist.  "Weistu des nicht, so wisse: als balde ein mensche geboren wirt, als balde hat es den leikauf getrunken, das es sterben sol" (XX).

 Im Grunde weiss das auch der Ackermann; und je mehr rhetorische Variationen der Tod erfindet, desto mehr leuchtet ihm das Thema ein.  Aber die Folgerung des Todes aus diesem nun einmal bestehenden Sachverhalt kann und will er nicht nachvollziehen.  Hier beginnt eigentlich eine neue Phase der Auseinandersetzung.  Für den Tod wäre die logische Konsequenz einer solchen einmal gewonnenen Erkenntnis eine stoische Haltung, die Empfindungen wie Freude, Leid, Furcht, Hoffnung peinlich ausklammert (XXII), die sich in der Zuneigung zum Mitmenschen ein Mass auferlegt, um den Verlust des anderen nicht als völlige Zerstörung zu erfahren, die allen Anspruch auf festen Besitz aufgibt, um nicht von der Sorge um den Besitz geplagt zu werden.  Hier hakt der Ackermann wieder ein.  Es ist erstaunlich, dass er noch jetzt, in Kapitel XXIII, nicht ganz in den Dialog hineinfinden kann; das beweist schon, wie er des Todes Freude, Leid, Hoffnung, Furcht in seiner Antwort in Freude, Liebe, Wonne, Kurzweil umwandelt.  Aber es geht ihm auch garnicht darum, den Tod Wort für Wort zu widerlegen.  Vielmehr läuft dessen Formel seinem Lebensbild zuwider, das ohne die genannten Elemente nicht auskommen mag.  Seiner Meinung nach führt die stoische Haltung den Menschen zum Müssiggang.  Das Ideal des Ackermanns ist der aktive Mensch, der den Körper in Bewegung und Zucht hält, um die "bosheit" zu unterdrücken.  Auch hier wird eine durchaus diesseitige Argumentation geführt.  Die Ausschaltung des Bösen durch körperliche Aktivität trägt nicht den geringsten religiösen Anstrich.  Dies besonders zu betonen, wird als Beispiel für eine Lebensweise, in der Freude, Liebe, Wonne und Kurzweil an erster Stelle rangieren, nicht das weltfreudige christliche Hochmittelalter gewählt--obwohl der Dichter solch bekannte Begriffe gebraucht wie Turnieren, Stechen, Tanzen, "züchtige hübscheit bei mübiger weile,"--sondern das antike Rom.  Diese Haltung widerspricht der christlichen Lehre zwar nicht, beruft sich aber auch nicht auf sie.  Das folgende Zitat aus demselben Zusammenhang hätte ein Gemeinplatz jeder beliebigen Epoche sein können: "Wan menschliches mutes sin kan nicht müssig wesen.  Eintweder gut oder böse muss alzeit der sin würken; . . . Würden dann dem sinne gute gedanke benommen, so würden im böse eingen.  Gute aus, böse ein; böse aus, gute ein: die wechselung muss bis an das ende der werlte weren."  Bezeichnend ist, dass dieser menschlichen Labilität--denn das versteckt sich doch hinter den Worten des Ackermanns--nicht eine weltabgewandte Askese verschrieben wird, sondern eine "gute" Aktivität, die die "böse" nicht zum Zuge kommen lässt.

 Auf den persönlichen Fall des Ackermanns angewandt bedeutet das ein Festhalten am "guten" Gedächtnis der Verstorbenen, damit "böse gedechtnüsse" ihm nicht "in den sin wider komen."  Natürlich wirkt hier etwas anderes mit; das Gedächtnis der Toten ist nicht einfach Defensivmittel gegen üble Anfechtungen.  Ist solches Gedenken schon unter Freunden eine Pflicht, der sich jeder gern unterzieht, wieviel mehr nicht unter Liebenden: "Ist sie mir leiblichen tot, in meiner gedechtnüss lebet sie mir doch immer."  Wenn der Ackermann auch weiss, dass die Gattin unwiederbringlich verloren ist, hier ist der Punkt, wo er sie dem Tod und dem Gesetz des Lebens zum Trotz gleichsam  weiterhin besitzt.  Dies ist die allerletzte Position, die der von Anfang an Unterlegene nicht aufgeben will.  Der Anspruch auf Wiedergutmachung, der hin und wieder auftaucht, ist lediglich eine Klageformel, keinesfalls eine Illusion des Ackermanns.  Sein Recht zur Auflehnung bezieht er nicht minder aus dem Trotz des Schwächeren als aus dem Leid des Verlassenen und Hilflosen.  Hier, beim Gedächtnis der Toten, ist zum erstenmal ein "Besitz" angegriffen, den der Ackermann seinem mächtigen Gegner gegenüber mit Erfolg verteidigen kann.

Als Entgegnung darauf fährt der Tod nunmehr sein schwerstes Geschütz auf.  In Kapitel XXIV verzichtet er auf die Rolle des grausamen aber notwendigen Ordners, die er zuvor wieder und wieder für sich in Anspruch genommen hatte, und zeichnet sein Bild vom Menschen, brutal, materialistisch, einseitig--und in seiner Einseitigkeit richtig.  Der Mensch ist nicht wert, dass er existiert, warum sollte ihn also der Tod verschonen?  Und warum sollte der Ackermann ihn auf solche Weise beklagen?  Begreift man das Kapitel als den ernstgemeinten Standpunkt dieses Gesprächspartners--und daran kommt man im Rahmen des Dialogs kaum vorbei--so sieht man auch die üblen Namen, mit denen der Tod fortwährend seinen Gegner belegt (eine einzige Stelle ausgenommen), in anderem Licht.  Was immer nämlich der Ackermann vorbringt, ob er sich gesittet oder ungesittet gebärdet, für den Tod bleibt er der "Narr," der jeder Einsicht in die reale Welt entbehrt.  Erst jetzt versteht man die Perspektive, aus der heraus dergleichen Titel mehr bedeuten als nur plumpe Arroganz des Stärkeren dem Schwächeren gegenüber.  Aus dieser Sicht und sub specie aeternitatis ist der Ackermann ein Narr, und dem Dichter lag an diesem Zug sicher nicht weniger als an den übrigen.  Die Quintessenz des Todes: "Lass hin fliessen lieb, Iass hin fliessen leid!  Lass rinnen den Rein als ander wasser!  Eseldorf! weiser götling!" erscheint hier geradezu als logischer Schluss.  Sie ist nicht mehr schneidender Hohn dem "Narren" gegenüber, der ohnehin gegen den Tod nichts ausrichten kann, sondern der konsequente Rat des Apostels einer wenn auch einseitigen Wahrheit.

Mit Recht hat sich die Forschung, wenn immer es ihr um die Anschauungen des Ackermanns ging, hauptsächlich auf das Kapitel XXV der Dichtung gestützt.  Das krasse, einseitig negative Bild, das der Tod vom Menschen zeichnet, bringt den Ackermann um die mühsam gewonnene Selbstkontrolle, und er schleudert dem Tod sein "Pfei euch, böser schandensack!" entgegen.  Dann folgt die lange, leidenschaftliche Antwort zugunsten des "werden menschen," der "Gotes aller liebste creatüre" ist.  "Solte dann der mensche so snöde, böse und unrein sein, als ir sprechet, werlich so hette Got gar unreinlichen und gar unnützlichen gewürket."  Das ist von nun an das vorherrschende und bis an den Schluss immer wieder variierte Thema in den Antworten des Ackermanns.  Noch in Kapitel XXXI, dem letzten Wort des Klägers vor dem Schiedsspruch, klingt wie ein erbittertes Echo dieser Gedanke in fast wörtlicher Wiederholung noch einmal auf: wenn es sich wirklich so verhielte, wie der Tod behauptet, dann hätte Gott eine minderwertige Schöpfung hervorgebracht, er selber wäre ein "streflicher und gemeilter würker" (XXV).  Das Gegenteil ist wahr: Gott, der alle Menschen und Dinge geschaffen hat, hat sie "alle zumale gut beschaffen," und den Menschen hat er zum Herrn der Schöpfung eingesetzt.  Burdach spricht in diesem Zusammenhange von einem "Hymnus auf die Herrlichkeit, Gutheit, Grösse und Schönheit des gottgleichgeschaffenen Menschen, der höher steht als alle Dämonen" [8].
Diesen Hymnus gilt es nun näher zu beleuchten.  Dabei sollte man im Auge behalten, worauf sich im Grunde die Äusserungen des Todes bezogen.  Er sprach keineswegs vom Menschen als der christlichen Leib-Geist-Seele-Einheit, um nur eine Definition anzuführen.  Er sprach ausschliesslich vom menschlichen Körper; und nicht etwa vom Leib als funktionierendern Organismus, sondern lediglich von seiner Beschaffenbeit, vom Menschen als Materie also.  Die mögliche seelische Grösse eines Menschen wird nie in Abrede gestellt, wie wir am Beispiel der Lobrede des Todes auf die Verstorbene gesehen haben.  Und die menschliche Vernunft wird nur insofern verballhornt, als auch sie nicht stark genug ist, die Macht des Todes einzuschränken, besonders deutlich in Kapitel XXVI, das mit der ironischen Aufzählung der Errungenschaften menschlichen Geistes sich wie Katalogdichtung anhört.  Gegen eine solche Kritik also, die den Menschen lediglich als einen Klumpen übler Materie sieht, richtet sich die sooft missverstandene Antwort des Ackermanns.  Er zeigtózwar leidenschaftlich erregtódasselbe "werkstück" aus einer anderen Sicht, das ist alles.  Der Leib, für den Tod ein in höchstem Grade abscheuliches Produkt göttlichen Erfindergeistes, ist für den Ackermann ein unerreichbares Glanzstiick handwerklicher Kunst.  Und im Vordergrund seiner Entgegnung steht nicht die Schönheit des menschlichen Körpers sondern seine Zweckmässigkeit.  Ella Schafferus hat diesen Punkt mit Recht betont (S. 226).  Hinzu kommt, dass der Ackermann sich auf den menschlichen Kopf bezieht, während der Tod vom Leib generaliter sprach.  "Wo hat je werkman gewürket so behendes und reiches werkstück, einen so werkberlichen kleinen kloss als eines menschen haubet?"  Und im Folgenden geht es nicht um die eventuelle Schönheit menschlicher Züge, sondern um den Kopf als Träger wichtiger Sinnesorgane.  Darüber hinaus aber erhäIt er sogar eine religiöse Funktion, wird Werkzeug der Seele.  Denn das meint der Ackermann doch wohl, wenn er sagt: "Dabei sint in dem kopfe aus herzen grunde geende sinne, mit den ein mensche, wie ferre er wil, gar snelle reichet; in die gotheit und darüber garklimmet der mensche mit den sinnen."  Wo der Tod von der materiellen Beschaffenheit des Körpers sprach, beschreibt der Ackermann ausschliesslich die sinnvolle Funktion ebendieser Beschaffenheit.  Dem Wort des Todes vom Menschen als Kotfass, Wurmspeise, Stankhaus hält der Ackermann sein Bild vom Menschen als herrlich funktionierendem und zweckmässig eingerichtetem Organismus entgegen.

Noch einmal wird der KIäger zur Verteidigung grossen Stils gezwungen, als der Tod die Frau angreift: "Siech zu arbeit, gesund zu wollust, darzu zam und wilde ist sie, wann sie des bedarf" (XXVIII).  Der Kreis schliesst sich wieder.  Die Klage begann mit dem Schmerz über den Verlust der eigenen Gattin, sie schliesst mit der Verteidigung der edlen Frau. Waehrend der Tod ohne Differenzierung "die Frau" verurteilt, bezieht sich des Ackermanns Lob der Frau nur auf das "weib," nicht auf das "unweib," wie er sagt.  Der Tod vertritt einen stets gröber verallgemeinernden Pessimismus; der Ackermann spricht immer deutlicher von einer in relativ gut und relativ böse geteilten Welt.  Hier nun kommt der Frau die grosse Aufgabe der Erzieherin zu.  Sie allein ist imstande, den Mann zur Umkehr zu zwingen; in ihrem Dienst bewährt er sich im Guten.  Dies alles wird mit Hinweisen auf den hochmittelalterlichen Begriff der Minne untermauert.  Der Mensch-óhier der Mann--ist durchaus des Guten fähig und nicht hoffnungslos dem Bösen anheimgegeben.  Die Frau ist dabei Trägerin der leitenden und ordnenden Gewalt.  "Kein mannes zucht kan wesen, sie sei dann gemeistert mit frauen züchte ... aller werlte aufhaltung, festung und merung sint die werden frauen."  Erst hier wird in letztem Ausmasse deutlich, warum der Ackermann zu Beginn den Verlust der Gattin so ungestüm beklagt: eben weil der Mann der Gefährtin bedarf, um ein sinnvolles Leben im Einklang mit gültigen ethischen Prinzipien zu führen, muss er den Verlust der Gattin als unersetzlich empfinden, darf er ihr Gedächtnis nicht, wie der Tod anrät, gewaltsam unterdrücken.  Der Ackermann weiss sehr wohl um die eigene Gefährdung, und ein "frumes weib" ist beinah der einzige Garant eines guten Lebens.

Vor dem Hintergrund dieser Ergebnisse muss man Kapitel XXXII, die letzte grosse Rede des Todes, lesen.  Es ist das erstaunlichste des ganzen Streitgesprächs.  Der Tod, der bisher durch seine krasse Einseitigkeit den Ackermann zwang, selbst auf einer jedoch gegen den Schluss immer scbwächer werdenden Einseitigkeit zu beharren, präsentiert plötzlich eine Weltsicht, die der Kläger im Grunde teilt.  Das allgemeine Bild von der Welt und ihrer Wandelbarkeit, vom Menschen und seiner Schwäche, das der Tod im letzten Kapitel des eigentlichen Streitgesprächs entwirft, ist vom Ackermann nie geleugnet worden.  Zumal die Vergänglichkeit alles Irdischen hat er selbst schmerzlich erfahren.  "0 die tötliche menscheit ist stete in engsten, in trübsal, in leide, Ö und je mer ein man irdisches gutes hat, je mer im widerwertigkeit begegent."  So spricht der Tod.  Das stimmt doch genau mit dern Bild überein, das der Ackermann von seiner eigenen Situation seit dem Tode der Gattin entwirft.  "Trit in welchen orden du wilt, du findest gebrechen und eitelkeit darinnen."  Das sagt der Tod.  Ähnliches hatte der Ackermann bereits fünf Kapitel früher ausgesprochen.  Der Tod: "Jedoch kere von dem bösen und tue das gute; suche den fride und tue in stete; über alle irdische ding habe lieb rein und lauter gewissen!"  Gerade das ist das ethische Programm des Ackermanns, zu dessen Verwirklichung er aber der Frau bedarf.  Und nicht zuletzt dieses Moment, die erhabene Funktion der verlorenen Gattin, trägt bei zum Leid, von dem Gott später sagt, dass es den Ackermann zwinge, zu klagen.

 Der Schiedsspruch Gottes folgt unmittelbar auf die grosse und versöhnende Rede des Todes, denn nach diesem Wechsel im Ton--"sun" redet er den Sterblichen an--kann ein Streitgespräch nicht fortgesetzt werdenEs ist eigentlich ein nichtssagendes Urteil, dem sich der Ackermann umso schneller unterwirft, als es für ihn nur den Tadel enthält, er habe die Tatsache ausser Acht gelassen, dass ein Leben Gottes (" . . . er wenet nicht, das sie im von uns were verlihen") jederzeit vom Geber zurückgenommen werden kann, und dass das daraus entstehende Leid einfach zu tragen ist.  Der Satz: "Der klager klaget sein verlust, als ob sie sein erberecht were" trifft doch sicher nur den Ton der Klage, den bereits der Tod ungewöhnlich fand.  Inhaltlich, so haben wir darzulegen versucht, beklagt der Ackermann den Tod der Gattin weniger, weil er ein Recht auf sie zu haben glaubt, als weil er sie braucht.  Zudem erringt er den moralischen Sieg, er hat die "ere," denn er verteidigte den Menschen gegen den einseitigen Angriff des grossen Gegners und zeigte seine Stellung innerhalb einer in der Anlage guten Schöpfung auf, in der der Tod nur als Schänder gesehen werden kann.  Dieser aber ist Bestandteil der gefallenen Schöpfung, deren Herr nach wie vor Gott ist, und selbst der Tod ist nur Lehnsmann.  Es ist lediglich dieser Sachverhalt, der im Schiedsspruch auf eine knappe Formel gebracht wird, und der die ganze Dichtung hindurch mitschwang, wenn auch Leidenschaft auf der einen und Sarkasmus auf der anderen Seite ihn manchmal verdunkelten.

Doch hat der Schiedsspruch eine gewaltige Wirkung auf den Ackermann, die in dem sprachlich schönen und innigen Gebet niederschlägt.  Vergeblich wird man versuchen, hier den Ackermann des Streitgesprächs wiederzuerkennen.  In diesem einzigartigen Anruf ist ein überschwengliches Lob Gottes ausgesprochen, eine ebenso leidenschaftliche Hingabe an ihn, wie sie zuvor in der Klage um die Gattin zum Ausdruck kam.  Es ist erstaunlich, wie all die führenden, erhaltenden und erlösenden Qualitäten, die vorher der Frau zugeschrieben wurden, jetzt mit der zweiten Person der Gottheit verbunden werden.  Denn das Gebet ist an Christus gerichtet, in der Nennung seines Namens gipfeln die Anrufungen, erst hier beginnt das persönliche Anliegen: das Gebet für die Gattin.  Die Verstorbene ist nicht mehr in erster Linie die vom menschenfeindlichen Tod Geraubte sondern Postulantin, die von Christus in den Kreis der seligen Geister aufgenommen wird.  Noch immer: "Mich reuet Margaretha, mein auserweltes weib." Aber ebenfalls: "Nim sie, herre, in dein volkomen genüge, da genüget den minsten als den meisten!"  Der Mensch aber, der zuvor in der Gattin die Mittlerin zu Gott sah, wendet sich jetzt an den göttlichen Mittler selbst: dies ist das eigentliche Ergebnis des Streitgesprächs.  Die ganze Kreatur wird eingeladen, " . . . es sei, welcherlei creatüre es sei, . . ." in das Gebet einzustimmen.  Und man darf annehmen, dab der Tod mitgemeint ist, wenn auch nicht als der "Bruder Tod" des Franziskus von Assisi, so doch als einmal gegebene Gewalt dieser Welt, als Funktion der ewigen Gottheit.
 

Notes

1 Vgl. hierzu die kürzlich erschienene Arbeit von Franz H. Bäuml, Rhetorical Devices and Structure in the Ackermann aus Böhmen (Univ. of Calif. Pubs. in Mod. Phil., LX), Berkeley and Los Angeles, 1960.

2  Ella Schafferus, "Der Ackermann aus Böhmen und die Weltanschauung des Mittelalters," ZfdA, LXXII (1935), 209 ff.

3  Konrad Burdach, "Der Dichter des 'Ackermann aus Böhmen' und seine Zeit," Vom Mittelalter zur Reformation (Berlin 1926-32), III.  Walter Rehm, "Zur Gestaltung des Todesgedankens bei Petrarca und Johann von Saaz," DVLG, v (1927), 431 ff.

4  Arthur Hübner, "Deutsches Mittelalter und italienische Renaissance im 'Ackermann aus Böhmen'," Zeitschrift für Deutschkunde, LI (1937), 255 ff. Vgl. hierzu auch Franz H. Bäuml, "'Der Ackermann aus Böhmen' and the Destiny of Man," GR, XXXIII (1958), 223 ff.

5 Burdach, p. 400.

6  Johannes von Tepl, Der Ackermann, ed. Willy Krogmann (Wiesbaden, 1954), p. 102.  Alle Zitate nach dieser Ausgabe.

7  Von mir im Text hervorgehoben.

8  Burdach, p. 320.  VgI. zum Folgenden besonders Bäuml, Rhetorical Devices and Structure in the Ackermann aus Böhmen, p. 84 ff.